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Pilgern durch die Coronakrise - 2. Dezember 2020

Liebe Wandernde durch die Corona-Täler und vor allem über die Corona-(Wellen-)Berge,

vor einige Zeit erlebte ich in einem theologischen Fach einen Bewerber, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre vergeblich um einen Lehrstuhl beworben hatte. Er hat in einigen Feldern der praktischen Seelsorge großartige Talente und Qualitäten, will aber unbedingt einen Lehrstuhl und wird und wird nicht genommen. Das ist ein wirklich tragischer Fall, der aber auch in anderen Bereichen des Lebens gar nicht so selten vorkommt: Da sind Singles, die sich immer mehr unter Druck setzen, unbedingt einen Partner fürs Leben zu finden. Da sind ungewollt Kinderlose, die sich quälen und bis zur völligen Erschöpfung alles versuchen, um möglichst doch noch Kinder zu bekommen. Da sind Menschen, die unter allen Umständen eine ganz bestimmte Person zum Freund oder zur Freundin gewinnen wollen. Da sind schließlich auch Menschen, die über viele Jahre treu und regelmäßig beten, aber endlich mal eine große „Erleuchtung“, eine Berührung Gottes erleben wollen. Und es ließen sich tausende weitere Beispiele hinzufügen.

Manchmal werden wir von außen unter solchen Druck gesetzt. Wenn jemand mit 30 noch Single ist, kommen regelmäßig Nachfragen, ob der- oder diejenige nicht doch einen heimlichen Partner hat. Wenn nach einigen Jahren Ehe noch keine Kinder da sind, werden Fragen laut, wie es denn mit Nachwuchs ausschaut. Das kann den Schmerz der Betroffenen weiter erhöhen. Es ist wie wenn jemand genau in die offene Wunde hineinlangt. Und wenn das ständig geschieht, wird es zu einem bitteren Leiden. Nein, da sollten wir alle vorsichtig sein und gerade solche heiklen Themen äußerst behutsam behandeln. – Manchmal sind es aber auch die Betroffenen selbst, die sich den Druck machen. Der Quälgeist sitzt im eigenen Hinterkopf und lässt nicht locker. Er stößt einen immer und immer wieder auf das subjektiv so wahrgenommene Defizit, das der eigene Freundes- und Bekanntenkreis gar nicht als Defizit empfindet.

Das Problem ist: Je mehr wir uns unter Druck setzen oder setzen lassen, umso mehr verkrampfen wir und umso weniger sind wir locker genug, um jene Gelegenheiten wahrzunehmen, die sich wirklich bieten. Wer mit jemandem anbandelt und dabei den Eindruck vermittelt, dass es diesmal unbedingt „klappen“ muss, wird bei seinem Gegenüber Angst und Rückzugsbestrebungen hervorrufen. Ein Mensch, der voll unter Druck steht, wirkt auf andere nicht attraktiv und anziehend, sondern beängstigend und erdrückend. 

Umgekehrt: Wie oft habe ich es bei ungewollt kinderlosen Paaren erlebt, dass die Frau exakt in dem Moment schwanger wurde, als die beiden ihren Kinderwunsch verabschiedet hatten. Die Bibel kennt etliche solche Beispiele. Will sagen: Genau dann, wenn wir uns von dem äußeren oder inneren Druck befreien, unter dem wir stehen, wenn wir uns damit anfreunden, dass ein sehnsüchtiger Wunsch eben nicht erfüllt wird, öffnen sich Möglichkeiten, die vorher verschlossen waren. Wer frei und unabhängig ist, dem lösen sich die körperlichen Verkrampfungen, und er wird geistig offen, Gelegenheiten wahrzunehmen, für die er zuvor gar keinen Blick hatte. Zuvor war da ein Tunnelblick, und alles, was nicht exakt vor einem aufgetaucht ist, wurde nicht wahrgenommen. Ist der Tunnelblick verlassen, können wir auch rechts und links am Wegesrand eine Menge Schönes entdecken.

Der ethische Schlüsselsatz Jesu lautet: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“ (Mk 8,35) Man könnte sagen: Wer seine stärksten Wünsche mit aller Gewalt verwirklichen will, wird scheitern. Wer sie aber um des Vertrauens in Jesus und um der uneigennützigen Verwirklichung des Evangeliums willen loslassen kann, wird sie erfüllt bekommen. Manchmal wird die Erfüllung anders ausschauen als erwartet. Aber sie wird mindestens so schön sein wie erwartet.

Warum erzähle ich das alles? Die Corona-Zeit lenkt unseren Blick zunächst einmal sehr stark auf uns selber, weil wir anderen Menschen ja nur reduziert begegnen können. Und da ist die Gefahr groß, dass gerade die unerfüllten Wünsche noch mehr schmerzen und brennen als sonst. Manche fressen sich dann in solche Wünsche hinein, beginnen zu hadern und werden immer noch verbissener. Die Corona-Zeit kann aber auch ganz anders auf uns wirken, und manche haben mir das schon so ähnlich erzählt: Da werden wir umso dankbarer für das, was uns trotz dieser Pandemie alles an Gutem geschenkt ist. Da werden wir sensibler für Menschen, die Nöte in ganz anderen Dimensionen haben als wir im Wohlstand der Industriegesellschaften. Da weitet sich unser (Tunnel-) Blick für ganz viel Wertvolles.

Advent heißt einerseits: Auf die Ankunft Gottes in unserem Leben warten, sie sehnsüchtig erwarten. Wünsche sind erwünscht, sie dürfen und sollen sein! Wunschlos leben wäre adventlos leben. Advent heißt andererseits aber auch: Damit rechnen, dass Gott anders und an anderer Stelle zu uns kommt als wir denken. Dass er unsere Wünsche durchkreuzt und uns etwas zugedacht hat, von dem wir es nicht dachten. Advent heißt: Damit rechnen, dass ein anderer Beruf als der erträumte wie für mich gemacht sein kann; ein Single-Leben ebenso großartig und erfüllt sein kann wie eine Partnerschaft; ein kinderloses Leben ebenso wie eines mit mehreren Kindern; ein eher trockenes Gebetsleben ebenso plötzlich Überraschungen bergen kann wie eines, das täglich die großen mystischen Höhenflüge mit sich bringt.

Gott ist anders als wir denken. Aber er kommt! Zu jedem und jeder!

In diesem Sinne grüßt euch/ Sie

Michael Rosenberger