Liebe Mitpilgernde auf dem Weg durch die Coronakrise,
mittlerweile sind auch die bayerischen LeserInnen meiner Nachrichten dem österreichischen Club beigetreten (worden), und das ist gut so. Offensichtlich helfen nur drastische Maßnahmen, um die letzten fünf Prozent oder das letzte eine Prozent der Bevölkerung zur Vernunft zu bringen. Denn die gefährden alle Bemühungen der 95 oder 99 Prozent Vernünftigen, die sich an die Einschränkungen halten. Wenn man hört, was in den österreichischen Skigebieten noch los war, als die skandinavischen Länder bereits Alarm schlugen, weil sie dort ein Hochrisikogebiet identifizierten (durch heimkehrende infizierte UrlauberInnen); oder wenn man sieht, dass diesen Mittwoch in einem Studierendenwohnheim der Johannes Kepler Universität eine Party mit rund 20 StudentInnen gefeiert wurde (was jetzt womöglich zur Exmatrikulation derselben führt – es gibt dafür Gottlob einen Paragrafen im Universitätsrecht), dann kann man nur ungläubig den Kopf schütteln.
Mich haben die Corona-Parties stark an die Geschichte „Die Maske des roten Todes“ von Edgar Allen Poe erinnert, die ich in meiner Jugendzeit oft bei Zeltlagern oder Jugendfreizeiten erzählt habe. Sie ist hier nachzulesen: http://www.zeno.org/Literatur/M/Poe,+Edgar+Allan/Erz%C3%A4hlungen/Die+Maske+des+roten+Todes. 1842 erschienen, beschreibt Poe in ihr das Scheitern des Versuchs einer Gruppe von Privilegierten, sich vor einer Seuche in Sicherheit zu bringen und weiterhin sorglos Party zu machen, anstatt Verantwortung für die Notleidenden und das Gemeinwohl zu übernehmen. Poe knüpft damit an den berühmten Decamerone von Giovanni Bocaccio an, der eine Reflexion der großen Pest ist und zwischen 1349 und 1353 entstand. Poe hat aber auch eigene Seuchenerfahrungen gemacht, 1831 mit der Cholera-Epidemie in Baltimore und in seiner eigenen Familie mit mehreren Sterbefällen an Tuberkulose. In den Literaturwissenschaften wird die Kurzgeschichte außerdem als Kritik am American Dream verstanden, dass jeder Mensch seines eigenen Glückes Schmied sei.
Poes Geschichte lässt sich auf viele Situationen übertragen, denen das sogenannte Allmende-Problem zu Grunde liegt (die Allmende war im Mittelalter die Gemeindeweide, auf die jeder Bauernhof nur eine festgelegte Zahl Tiere schicken durfte). Dieses Problem meint, dass Einzelne einen Vorteil daraus ziehen können, sich regelwidrig zu verhalten, wenn nur die Mehrheit sich regelkonform verhält. Genau das ist bei Seuchen der Fall: Solange nur wenige Corona-Parties feiern, hat das für das Ergebnis eines Landes keine Folgen. Aber wenn die Zahl der RegelbrecherInnen eine bestimmte, vergleichsweise niedrige Schwelle überschreitet, bricht das Gesundheitssystem zusammen. – Das Allmende-Problem gilt aber auch für den Klimaschutz: 20 Prozent der Weltbevölkerung emittieren 80 Prozent der Treibhausgase – und ziehen damit die ganze Welt in den Abgrund. 20 Prozent der Weltbevölkerung machen ihre Grenzen für Flüchtlinge rigoros dicht und helfen auch nicht in deren Herkunftsländern – und wundern sich, dass das Elend in die reichen Länder hineinwandert.
Das Allmende-Problem macht deutlich: Es kommt auf jedeN einzelneN an. Mein Beitrag ist wortwörtlich unverzichtbar. Das kann uns Mut machen, aber auch Respekt einflößen.
Für den morgigen Sonntag biete ich keine eigenen Impulse an. Ich ermutige zum Feiern eines Wortgottesdienstes in der Familie oder für Singles wie mich allein. Sei es durch Mitfeiern eines Fernsehgottesdienstes, sei es durch Nutzen einer der in diesen Tagen zahlreichen Gottesdienstvorlagen der Diözesen und Liturgischen Institute im Internet. An Material fehlt es wahrlich nicht! Und im Feiern, Singen und Beten dürfen wir uns alle verbunden fühlen – auch ohne leibhaftige Begegnung im Kirchenraum.
In diesem Sinne wünsche ich ein gutes Weitergehen im Kloster auf Zeit und grüße euch/ Sie alle herzlich,
Michael Rosenberger