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Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Ist Wallfahrt etwas typisch Katholisches?

Auf einer Wallfahrt in meinen ersten Kaplansjahren näherten wir uns einem evangelischen Dorf, durch das wir hindurch ziehen mussten. Da kam ein Teilnehmer auf mich zu und sagte: „Herr Kaplan, in dem evangelischen Dorf müssen wir ganz laut Marienlieder spielen!“ Ja, damals vor 20 Jahren gab es ihn noch: Den Reflex, das eigene Katholisch-Sein durch Wallfahren und Marienlieder provokativ zu bezeugen.

Und es galt auch umgekehrt: Evangelisch-Sein hieß, kräftig gegen Wallfahrten zu wettern. Denn schon die Reformatoren verurteilten das Wallfahren in Bausch und Bogen. So schrieb Martin Luther 1537 in seinem zweiten Schmalkaldischen Artikel im dritten Abschnitt: „Nun ist das ja gewiss, dass solche Wallfahrten uns nicht geboten, auch nicht vonnöten sind, weil wir's wohl besser haben mögen und ohne alle Sünde und Gefahr sein lassen mögen. Warum lässt man denn daheim den eigenen Pfarrer, Gottes Wort, Weib und Kind etc., die nötig und geboten sind, und lauft den unnötigen, ungewissen, schädlichen Teufelsirrwischen nach, nur weil der Teufel den Papst geritten hat, solches zu preisen und bestätigen, damit die Leute ja häufig von Christo auf ihr eigenes Werk abfielen und abgöttisch würden, welches das Ärgste daran ist? Abgesehen davon, dass es unnötig, ungeboten, ungeraten und ungewiss, dazu ein schädliches Ding ist.“

Heute wissen wir, dass Luthers Kritik am Wallfahrtswesen seiner Zeit (und manchmal auch noch an heutigen Praktiken!) durchaus seine Berechtigung hatte: Wer glaubt, mit der Wallfahrt sein Seelenheil zu verdienen; wer meint, mit einer Wallfahrt Anspruch auf ein wunderbares Eingreifen Gottes zu haben (eine Heilung von Krankheit, einen neuen Arbeitsplatz…); wer die Wallfahrt missbraucht, um den Sorgen des Alltags zu entfliehen und sich von der eigenen Verantwortung loszureißen; so jemand verfehlt tatsächlich den ursprünglichen Sinn des Pilgerns.

Leichter als noch vor wenigen Jahrzehnten können heute aber auch evangelische Christen sowie Theologinnen und Theologen eingestehen, dass das Wallfahren durchaus ein geistlicher Gewinn sein kann: Wer sich durch eine Wallfahrt mehr und intensiver der Führung Gottes anzuvertrauen lernt; wer auf dem Pilgerweg das eigentliche Wunder erlebt, dass Gott sein Herz anrührt und verwandelt; wer durch das Fernsein von Zuhause seinen Platz im Leben neu zu begreifen und seine Verantwortung als Berufung durch Gott aufrichtiger anzunehmen lernt; der spürt darin genau das, was die Kernbotschaft der Reformatoren war: Dass Gott uns ohne Verdienst aus reiner Liebe zu uns annimmt und trägt.

Und so ist es nur logisch, dass heute auch viele evangelische Christen den Camino nach Santiago gehen. Evangelische Pfarreien entlang der Jakobswege legen in ihren Kirchen Bücher auf, in die die Pilgernden ihre Bitten und Anliegen schreiben, und beherbergen in ihren Pfarrheimen gastfreundlich die pilgernden Menschen jedweder Konfession. Selbst organisierte Pilgerreisen sind mittlerweile im Programm evangelischer Pfarreien keine Seltenheit mehr.

Was früher die Konfessionen spaltete und trennte, wird heute also zu einem verbindenden Element einer gemeinsamen Spiritualität.

Insofern habe ich einen Traum: Dass nicht nur auf dem Weg Christen unterschiedlicher Konfessionen miteinander gehen und beten, sondern auch am Ziel, in der Wallfahrtskirche gemeinsam Gottesdienst feiern. Und so für die Einheit der Kirchen ein sichtbares Zeugnis ablegen.