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Von Professor Dr. Michael Rosenberger

Mit Kreuz und Fahnen durch die Lande: Wallfahrt – eine öffentliche Demonstration für den Glauben?

„Wallfahrer ziehen durch das Tal mit fliegenden Standarten. Hell grüßt ihr doppelter Choral den weiten Gottesgarten.“ So hat es der Dichter Joseph Victor von Scheffel 1859 in die dritte Strophe des Frankenlieds geschrieben. In der Epoche der Spätromantik waren Wallfahrten zweifellos eine Demonstration des Glaubens und der Gefühle gegen die kühle Rationalität der Aufklärung und die technisch dominierte Industrialisierung. Standarten, Vortragekreuz und Blaskapelle waren in diesem Kontext notwendige Insignien, um ein halbes Jahrhundert nach der Säkularisation aller Welt die eigene (Glaubens-)Stärke zu demonstrieren. In gewissem Sinne bedeuteten sie ein trotziges „Jetzt erst recht!“

Wie anders ist das heute – vor allem, wenn man in eine andere Region Europas kommt. Als ich 2005 mit einer oberösterreichischen Gruppe nach Mariazell pilgerte, die aus lauter Pilgerneulingen bestand, war deren sehnlichster Wunsch: „Wir wollen unterwegs auf jeden Fall unerkannt bleiben! Daher nehmen wir auf gar keinen Fall etwas mit, was uns als Pilgerinnen und Pilger erkennbar machen könnte.“ Es war dann schon ein großes Zugeständnis, dass sie sich am Ende darauf einließen, ein kleines Kreuzchen um den Hals zu tragen.

Dennoch ging der Wunsch, unerkannt zu bleiben, nicht in Erfüllung. Die Leute merken, dass sie es mit Pilgerinnen und Pilgern zu tun haben, auch wenn die gerade nicht beten, sondern in fröhlicher Unterhaltung vorbeiwandern wie eine gewöhnliche Wandergruppe. Davon erzählt auch die Schweizer Psychologin Barbara Haab, die die Pilgernden auf dem Jakobsweg befragt hat. Auch sie beobachtete, dass Jakobspilgerinnen und -pilger zunächst einmal große Scheu haben, als Pilgernde erkannt zu werden. Erst nach Tagen gewöhnen sie sich daran, dass das unvermeidlich ist, und freunden sich mit dieser Rollenzuschreibung an.

Eine Wallfahrt ist also immer noch eine öffentliche Demonstration, ein Zeugnis – ob die Pilgernden das wollen oder nicht. Man wird gesehen, fällt auf – und wird eingeordnet. Die Frage lautet dann aber: Wovon geben Pilgernde Zeugnis? Und: Wird ihr Zeugnis auch so verstanden, wie es gemeint ist? Nicht selten sagen Passanten, wenn sie Wallfahrerinnen und Wallfahrer ansprechen: „Ich habe keine Sünden, also brauche ich keine Wallfahrt!“ Es ist erfreulich, dass Fremde die Wallfahrer ansprechen – sie haben keine Angst mehr wie noch der Dichter des Frankenlieds, der vom Pfarrer nicht zur Wallfahrt zugelassen wurde. Aber die Kommentare heutiger Menschen zeugen oft von Unverständnis und großer Fremdheit gegenüber religiösen Vollzügen.

Mit dieser Fremdheit müssen Pilgernde heute rechnen und sich fragen: Was antworten wir? Welche Botschaft geben wir denen, die uns ansprechen? Die Pilgernden meiner Gruppe haben schnell eine mögliche Antwort entdeckt: „Wir wallen nicht, um Sünden abzubüßen, sondern um zu danken – und dafür haben wir viele gute Gründe!“

Aber das Zeugnis einer Wallfahrt ist weit vielschichtiger als die Gespräche am Wegesrand: Welche Gebete, Impulse, Schriftstellen hören Menschen, wenn sie im Vorbeigehen nur einige wenige Sätze auffangen? Altmodisch verstaubte Gebete, die sie unmöglich verstehen? Oder zeitgemäße Formulierungen, die ihnen einen echten Anstoß mitgeben? Und: Was sehen Passanten, wenn sie die Pilgergruppe beobachten? Überholtes Triumphgehabe einer sich inszenierenden Gruppe? Eine bier- und weinfreudige Horde, die in jedem Ort den Alkoholspiegel erhöht? Oder die schlichte Einfachheit und Dankbarkeit ganz normaler, nüchterner Menschen?

Hin und wieder bleiben Passanten am Wegesrand stehen und halten einen Augenblick inne, wenn Wallfahrerinnen und Wallfahrer vorüberziehen. Das sind die kostbarsten Momente einer Wallfahrt. Denn hier rühren Fremde mit den Pilgernden an das große, unbegreifliche Geheimnis Gottes.