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Von Professor Dr. Michael Rosenberger

Nur mit dem eigenen Anliegen auf Wallfahrt?

Manchmal sind Menschen, die sich auf eine Wallfahrt begeben, so voll von ihrem eigenen Gebetsanliegen, dass sie nicht mehr eine Handbreit nach links oderrechts schauen können. Der berühmte „Tunnelblick“ hat sie erfasst. Sie nehmen die Mitpilgernden nicht wahr, deren Sorgen und Anliegen schon gar nicht, und womöglich erwarten sie sogar, dass die gesamte Pilgergruppe sich ihrem Anliegen anschließt.

Solch eine Verhaltensweise kann zwei Ursachen haben – und die gilt es gut zu unterscheiden, wenn man als Pilgerführer/-in oder als Mitpilger/-in darauf angemessen reagieren will:

Einerseits kann es sich um eine Haltung handeln, die die betreffende Person bereits jahrelang praktiziert. Sie ist einfach ein egozentrischer Mensch, der schon lange keinen Blick mehr für die Sorgen und Nöte anderer hat, sondern allein auf sich selber schaut. Dann wird sich diese Haltung so verfestigt haben, dass ihr kaum beizukommen ist. Die Pilgerleitung wird die Person zum Schweigen und zur Zurückhaltung aufrufen, und wenn auch das nicht hilft, bleibt – so schmerzlich das ist – als letzte Möglichkeit nur der Ausschluss von der Wallfahrt. Denn solche Personen ziehen die Aufmerksamkeit aller in einem Maße auf sich, dass es denen unmöglich wird, für andere Mitpilgernde oder gar für die spirituellen Impulse wach und sensibel zu sein.

Andererseits kann es aber auch sein, dass das Gefangensein in den eigenen Nöten nur eine momentane Situation ist, in der sich die Person befindet. Dann liegt ihre völlige Aufmerksamkeit für sich selber an der Größe und Dramatik ihres Problems – und nicht in ihrem Charakter. In diesem Fall wird es gut sein, wenn die anderen Pilgernden mit Liebe und Einfühlungsvermögen auf diesen Menschen zugehen, ihm zuhören und ihm ihre Solidarität und ihr Verständnis zeigen. Zugleich sollten sie ihm aber signalisieren, dass auch andere Mitpilgernde Lasten mit sich tragen. Es kann durchaus entlastend sein, wenn jemand sieht, dass nicht nur er allein ein schweres Päckchen mit sich trägt.

Praktische Aufgaben können helfen, dass eine ganz auf sich selbst konzentrierte Person Mut und Kraft findet, das eigene Schneckenhaus zu verlassen: Man könnte sie zum Beispiel darum bitten, am Abend die Füße eines besonders von Blasen und Wunden geplagten Mitpilgernden zu pflegen. Oder den Rucksack eines Weggefährten zu tragen, der das nicht mehr leisten kann. Durch solche kleinen Hilfeleistungen kann der auf sich geworfene Mensch den Blick für die Nöte anderer öffnen, und das erleichtert ihm letztlich, das eigene Leiden zu tragen. Besonders wirksam zum Öffnen der Herzen sind Rituale. Wenn es auf einer Wallfahrt das alte Pilgerritual gibt, einen Stein zu einer Passhöhe hinaufzutragen und dort niederzulegen – ein Brauch, der vom Jakobsweg hinlänglich bekannt sein dürfte – könnte man einen „Steintausch“ vorschlagen: Person A trägt den Stein von B den Berg hinauf und umgekehrt. Das scheint auf den ersten Blick lächerlich.

In Wirklichkeit wird aber jeder Betroffene spüren, was das bedeutet: Für eine kurze Wegstrecke lösen sich die beiden von ihrer eigenen Last und ihren eigenen Gebetsanliegen – und machen sich die Sorgen und Anliegen des je anderen zu Eigen. Sie schlüpfen gleichsam in dessen Haut und fühlen, wie es ihm oder ihr zumute ist. Eine solche Geste kann, wenn sie gelingt, eine tiefe Verbundenheit erzeugen, die man ein Leben lang nicht vergisst. „Ich habe für X den Stein getragen“ – dieses Bewusstsein wird jedes Mal aufs Neue auftauchen, wenn man wieder am selben Passweg steht oder geht. Die vorher so ganz auf sich selbst fixierte Person kann so ein intensives Gespür für mindestens einen Nächsten entwickeln. Pilgern soll die Herzen weit machen: Für alles Gute, aber auch alles Belastende, eigenes wie das anderer Menschen. Alles soll einen Platz im Herzen der Pilgernden erhalten – und ihnen eine Ahnung von den vielen Sorgen vermitteln, die diese Erde erfüllen – aber auch vom weiten Herz Gottes, dem sie ihre Anliegen anvertrauen und übergeben.