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Pilgern durch die Coronakrise - 11. Januar 2021

Liebe atemlos Wandernden auf dem Weg bis zum Horizont, 
 
sehr schnell hat die Medizin am Beginn der Pandemie gelernt, dass Covid-19 vor allem die Lunge schwer beeinträchtigen kann. Nicht wenige Erkrankte müssen zusätzlich beatmet werden – was eine heikle Angelegenheit ist, da sich der Körper an die Unterstützung der Atmung schnell gewöhnt. Die ÄrztInnen müssen den schmalen Grat zwischen zu viel und zu wenig Unterstützung der Atmung gehen. – Atem-Not kennen wir vermutlich alle. JedeR hat schon einmal gespürt, dass es eine echte und drängende Not ist, wenn man keine Luft bekommt.
 
Als Kinder haben wir im Schwimmbad ein ziemlich hartes Spiel gehabt: Jemand packte ein anderes Kind, tauchte dessen Kopf unter Wasser und drückte so lange und so fest zu, bis derjenige nur knapp am Ersticken vorbeikam. Da ich in der Volksschule immer unter den kleinsten Kindern meiner Klasse war, war ich praktisch nie der, der jemand anders untertauchte, sondern der, der von anderen untergetaucht wurde. Jedes Mal war ich froh, wenn ich wieder auftauchen konnte, denn aus eigener Kraft hätte ich mich nie befreien können. Immerhin galt das ungeschriebene Gesetz, dass jemand, der einmal untergetaucht worden war, am selben Tag kein zweites oder drittes Mal untergetaucht wurde – auch nicht von anderen Kindern.
 
Manche Menschen erinnern mich in Zeiten der Corona-Pandemie an meine kindheitlichen Erfahrungen des Untergetaucht-Werdens. Da scheint sie ein unsichtbarer und zugleich übermächtiger Gegenspieler unterzutauchen. Und der drückt und drückt… und hört gar nicht mehr auf. Die Luft wird diesen Menschen knapp, sie verzweifeln schier, weil sie sich dem Ersticken oder Ertrinken nahe fühlen – und es nimmt noch immer kein Ende. Ja, ich kann gut verstehen und mitfühlen, wie es solchen Menschen geht. Nicht verstehen kann ich allerdings, wenn sie ihre Wut und Aggression dann an den Falschen abreagieren, z.B. an ihren unmittelbaren Mitmenschen oder an der Politik. Die haben Corona nicht verursacht oder gewollt. Die können so wenig dafür wie alle anderen Menschen. Nein, wenn man nicht ertragen kann, was einem auferlegt wird, wenn es einen wirklich überlastet und überfordert, dann sollte die Wut sich auf den richten, der uns diese Pandemie beschert hat, ohne uns zu fragen und ohne auf uns Rücksicht zu nehmen. Ja, ich meine Gott. Er hat uns da hineingeritten, ohne zu erklären warum. Aber er hält auch unsere Wut und unseren Schmerz aus. Das Buch der Psalmen enthält eine Menge Klagegebete, außerdem gibt es ein eigenes alttestamentliches Buch der Klagelieder. Bei Gott dürfen wir uns beschweren – er hält das aus, hört es an, und wenn es ihm richtig scheint, gibt er uns auch einen Wink oder sendet einen Tröster.
 
Am Anfang des christlichen Lebens steht das Sakrament der Taufe. Man könnte auch sagen: Am Anfang des christlichen Lebens steht die Bereitschaft, sich untertauchen zu lassen, hilflos Schiffbruch zu erleiden und unterzugehen in den Fluten des Lebens. Wenn ich dich nicht untertauchen darf, sagt Christus, dann hast du keinen Anteil an mir. Die Taufe ist ein Untergetaucht-Werden (in der westkirchlichen Praxis leider nicht mehr – da ist sie zu einem Übergießen mit ein paar Tropfen Wasser degeneriert, in der Ostkirche wird wirklich vollständig untergetaucht): Entweder du bist bereit, die existenzielle Not zu spüren und auszuhalten, die jemand nahe am Ertrinken spürt, oder du kannst den Weg des Lebens nicht mitgehen. Entweder du vertraust dich ganz deinem Rettungsschwimmer Christus an oder du wirst nie erfahren, was es heißt, aus Lebensgefahr gerettet zu werden. Entweder du bist bereit, dich der Sintflut auszusetzen und dich als RettungsschwimmerIn zu engagieren wie Noach, indem du dein Leben für andere riskierst, oder du wirst nicht begreifen, was Christsein heißt.
 
Wir feiern am morgigen Sonntag das Fest der Taufe des Herrn. Als Jesus sich von Johannes dem Täufer im Jordan taufen lassen möchte, fragt ihn dieser, was das soll. „Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir?“ Jesus hätte doch keine Taufe nötig! Doch der antwortet ihm: „Lass es nur zu! Denn so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“ Da gibt Johannes nach. (Mt 3,14-15) Ja, Christus will in allem uns gleich werden. Er will keine Extrawurst, keinen Sonderrabatt. Er will in allem genauso behandelt werden wie jeder andere Mensch. Das heißt für ihn „die Gerechtigkeit erfüllen“. Und genau darin liegt die Frohe Botschaft für die Zeit der Pandemie: Christus taucht mit uns unter – er lässt sich tauchen, bis er keine Luft mehr bekommt. Er will die existenziellen Nöte selber spüren und durchleben, die uns aufgeladen sind. Er will keine Ausnahme, kein Privileg. Denn nur so können und dürfen wir ihn an unserer Seite wissen, wenn wir untergetaucht werden und dem Ersticken nahe sind.
 
„Meine Seele ertrinkt in Mutlosigkeit,/ richte mich auf, tu, was du versprochen.“ (Ps 119,28 nach der Übertragung von Huub Oosterhuis) Ich lade ein, einen Moment innezuhalten und nachzudenken: Wann war ich schon einmal dem spirituellen Ertrinken nahe? Wann haben mich Existenzängste so tief niedergedrückt, dass ich dachte, das sei jetzt das Ende? Und wie bin ich damals aus der Not gerettet worden? Schließlich: Hat mich diese Erfahrung verändert, dankbarer, barmherziger, sensibler gemacht?
 
Mit diesen Fragen grüßt euch/ Sie alle
 
Michael Rosenberger