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Pilgern durch die Coronakrise - 11. November 2020

Liebe Corona-Geplagten und liebe trotz Corona Topfitten,
 
vielfach hört man in den vergangenen Wochen von der „Corona-Müdigkeit“. Am 7.10.20 hat sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO davor gewarnt. Denn je müder wir sind, umso weniger halten wir uns an die Regeln, und das Virus bekommt freie Bahn. So verständlich die Corona-Müdigkeit ist, das Virus hat damit keine Nachsicht. Wie also können wir „unermüdlich“ am Ball bleiben? Dieser Frage, die auch nach der Ankündigung eines außerordentlich erfolgreichen Impfstoffs der Firmen Biontech und Pfizer noch lange zentral bleiben wird, möchte ich heute nachgehen.
 
Die Bibel kennt eine Reihe von Geschichten ermüdeter Menschen. Der alttestamentliche Prototyp der Ermüdung schlechthin ist der Prophet Elija. Elija hat eine wichtige, neuartige Botschaft zu verkünden. Zu seiner Zeit glaubt man noch an die Existenz vieler Götter. Elija streitet das nicht ab. Aber er fordert, dass Israel nur seinen Gott verehre, nämlich JHWH. Dieser Gott ist Israels Gott – er allein. Dafür steht der Name des Propheten El-Ja, (unser) Gott ist JHWH. Dumm nur für Elija, dass die meisten Menschen seine Botschaft nicht akzeptieren – weder der König noch die Bevölkerung. Sie alle wollen auf Nummer sicher gehen und es sich mit den anderen Göttern nicht verderben. So opfern sie ihnen allen, das kann ja nicht schaden. Das treibt Elija zunehmend in die Erschöpfung, wie die folgende Geschichte erzählt:

„Elija aus Tischbe in Gilead sprach zu Ahab: So wahr der HERR, der Gott Israels, lebt, in dessen Dienst ich stehe: in diesen Jahren sollen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin. Danach erging das Wort des HERRN an Elija: Geh weg von hier, wende dich nach Osten und verbirg dich am Bach Kerit östlich des Jordan! Aus dem Bach sollst du trinken und den Raben habe ich befohlen, dass sie dich dort ernähren. Elija ging weg und tat, was der HERR befohlen hatte; er begab sich zum Bach Kerit östlich des Jordan und ließ sich dort nieder. Die Raben brachten ihm Brot und Fleisch am Morgen und ebenso Brot und Fleisch am Abend und er trank aus dem Bach. Nach einiger Zeit aber vertrocknete der Bach; denn es fiel kein Regen im Land.“ (1 Kön 17,1-7)
 
Elija ist amtsmüde – nicht coronamüde. Seine Erschöpfung resultiert daraus, dass er mit seiner Botschaft gegen die Wand rennt – und rein gar nichts erreicht. Aber unsere Corona-Müdigkeit ist dem durchaus ähnlich: Jetzt haben wir uns schon neun Monate redlich bemüht, und die Infektionszahlen sind höher denn je. Das ist ähnlich frustrierend wie die Erfolglosigkeit der Predigt Elijas: Man tut etwas mit viel Energie und Engagement – und sieht doch keinen Erfolg. Und beide Male sprechen wir von Monaten bzw. Jahren. Die Müdigkeit ist also sehr verständlich. Das ganze Masken-auf und Masken-ab nervt zunehmend, das Abstandhalten frustriert uns gerade gegenüber denen, die wir gerne in den Arm nehmen würden. Die Müdigkeit wächst zu einer tiefen Erschöpfung. Wir kennen das alle: Da brauchen wir dann Tage oder Wochen lang viel Schlaf und Erholung, um uns aus der Müdigkeit wieder aufzurappeln.
 
Angesichts solcher Müdigkeit will die Bibel zum Durchhalten ermutigen: Du fühlst dich wie in der Wüste, in der völligen Trockenheit. Gott aber bietet dir Quellen und Helfer an. Raben gehören zu den intelligentesten Vögeln. Sie sind „Kulturfolger“, also nahe beim Menschen, weil sie wissen, wie sie bei ihm „naschen“ können (etwa auf dem frisch gesäten Acker oder in manchen Ländern sogar an der Biomülltonne, deren Deckel sie mit vereinten Kräften öffnen). Diese Raben werden nun zu Helfern des Propheten. Anstatt von ihm Nahrung zu erbetteln wie ich es oft auf Berggipfeln erlebe, wohin sie uns Menschen eben auch folgen, bringen sie Elija Nahrung und werden für ihn hilfreiche Geister, damit er seine Erschöpfung gut übersteht.
 
Wir können uns fragen: 
Wer sind meine Raben, die mir leibliches oder geistiges Futter bringen? Was bedeutet mir ihre Gesellschaft, die Tatsache, dass sie mir nahe sind? Und was sind meine Kraftquellen gegen die Müdigkeit? Manche von ihnen sind mir womöglich derzeit verschlossen, ich kann sie nicht nutzen (z.B. das Singen in einem Chor oder das Besuchen eines Konzerts). Aber andere stehen mir auch jetzt offen!
In der Elijaerzählung heißt es, dass die Raben jeden Morgen und jeden Abend kommen. Das ist ein Ritual, auf das sich der erschöpfte Prophet verlassen kann. Ja, feste Rituale sind eine Kraftquelle, egal ob es sich um kirchliche oder um familiäre/ private Rituale handelt. Welche Rituale prägen mein Leben? Und wie kann ich sie in Corona-Zeiten realisieren? Bin ich mir bewusst, wie sehr sie mir Halt und Stütze sind?
 
Ich schließe diese Betrachtungen mit einem berühmten Gedicht von Hilde Domin, in dem sie die Elijaerzählung in kürzesten Sätzen wundervoll zusammenfasst:
 
Nicht müde werden
 
Nicht müde werden, sondern dem Wunder
leise wie einem Vogel die Hand hinhalten
 

Hilde Domin
 
In diesem Sinne grüßt euch/ Sie alle,
 
Michael Rosenberger