Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Pilgern durch die Coronakrise - 13. Februar 2022

Liebe Pilgernden auf dem Weg durch die närrische Jahreszeit,

während in Veitshöchheim die Proben für die Fastnacht in Franken begonnen haben, die am nächsten Freitag im Bayerischen Fernsehen übertragen wird, kochen die Debatten um die allgemeine (Österreich) oder einrichtungsbezogene (Deutschland) Impfpflicht hoch. Man muss sich doch wundern, wie vergesslich wir geworden sind: Als im letzten Herbst eine neue Corona-Welle durch die Lande zog, warf jeder der Regierung vor, über den Sommer nichts für die Vorsorge getan zu haben. Und jetzt werfen viele der Regierung vor, dass sie heuer genau das tun will. Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass Omikron nicht die letzte Welle ist, und es ist zweifelhaft, ob die nächste Variante weniger gefährlich sein wird als die jetzige. Ehrlich gesagt blicke ich manchmal ein wenig neidisch nach Italien: Dort liegt man mittlerweile bei 90% Impfquote, und über die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die schon seit November in Kraft ist, hat sich kaum jemand beschwert…

Omikron füllt zwar die Intensivstationen weniger als die vorangehenden Varianten, dafür aber die Normalstationen der Krankenhäuser, die derzeit schon wieder fast an der Maximalbelegung vorangehender Wellen angekommen sind. Noch dazu sind mehr MitarbeiterInnen in den Krankenhäusern selbst infiziert und fallen für ein bis zwei Wochen aus. So stehen auch diesmal die Krankenhäuser vor schweren Belastungen. In Israel, wo man zu früh zu stark gelockert hat, ist man gegenwärtig bei den höchsten Belegungen der Krankenhäuser seit Beginn der Pandemie. Und die Omikron-Welle wird noch etliche Wochen auf sehr hohen Infektionsständen verharren. Lockerungen müssen also sehr behutsam und gezielt erfolgen, wenn sie keinen Schaden anrichten sollen.

Interessant finde ich einige Zahlen zur Impfquote bestimmter Bevölkerungsgruppen. Sie beziehen sich alle auf die Gruppe der 25- bis 64-Jährigen, also der Menschen im Berufstätigenalter. Ein erster gravierender Unterschied betrifft den Bildungsstand: Menschen, die nur den Pflichtschulabschluss haben, sind in Österreich zu 68% geimpft. Bei abgeschlossener Lehre erhöht sich die Quote auf 73%, bei Matura auf 78% und bei Universitätsabschluss auf 84%. Bildung hat also eine Wirkung, und sie ist gut zu erkennen! Ein zweiter gravierender Unterschied besteht zwischen aktiv Erwerbstätigen (76%) und Arbeitslosen (69%) – wobei unter den Arbeitslosen die Impfquote bei höherer Bildung kaum ansteigt. Die Situation der Arbeitslosigkeit scheint alle anderen Einflussfaktoren zu überdecken. Und schließlich lässt sich auch an den einzelnen Branchen ein großer Unterschied ablesen: Über 70% Impfquote liegen folgende Bereiche: Information und Kommunikation, Finanzwesen und Versicherungen, Erziehung und Unterricht, Energieversorgung, öffentliche Verwaltung, Kunst und Unterhaltung. Hingegen weisen Gesundheitswesen, Gastronomie und Handel nur mittlere Impfquoten (65-67%) auf. Schlusslichter sind Land- und Forstwirtschaft (60%) sowie Bauwirtschaft (56%). Nun ist sicher ein Teil der branchenspezifischen Impfquote den dort vertretenen Bildungsständen geschuldet. Dass allerdings das (hoch gebildete) Personal im Gesundheitswesen nur einen Prozentpunkt besser abschneidet als das (weit weniger gebildete) Personal von Hotels und Gaststätten, ist schon etwas pikant. Ob hier wieder einmal das Sprichwort vom „Propheten im eigenen Land“ zutrifft?

Themenwechsel: Auch in diesem Jahr wird der Fasching nicht in der vertrauten Weise stattfinden können. Manche mag das kalt lassen, doch für viele ist das ein schwerwiegender Verlust. Und das darf auch so sein. Der Fasching gehört zur Fastenzeit untrennbar dazu. Um es einmal so zu formulieren: Wenn Fasten, dann Fasten. Wenn Fasching, dann Fasching. Und doch werden in Veitshöchheim auch heuer wieder nur wenige Menschen im Publikum sitzen – wenn auch vielleicht solche aus Fleisch und Blut und keine Pappkameraden wie im vergangenen Jahr. Das wäre schon einmal ein kleiner Fortschritt. Denn wenn uns in der Pandemie auch noch der Humor verlorengeht, dann gute Nacht!

Auf meinem Esstisch steht jetzt schon fast 500 Tage ein Räuchermännchen aus dem Erzgebirge, das Prof. Dr. Christian Drosten darstellt. Als ich es geschenkt bekam, war es bereits vergriffen, so viele Menschen wollten eines haben. Und auch heute noch ist es eine heiß begehrte Edition, denn es hilft einem durch die Pandemie.

Das Drosten-Männchen ist Tag für Tag bei allen häuslichen Mahlzeiten mein Gesprächspartner. Daher will ich heute einmal aufschreiben, was wir so miteinander reden.

MR: Also, Herr Professor Drosten, nachdem wir erstens Kollegen sind, zweitens uns schon seit über einem Jahr kennen und drittens ich der deutlich ältere von uns beiden bin (ziemlich genau zehn Jahre älter), schlage ich vor, dass wir anlässlich unseres 500-Tage-Jubiläums ab heute „du“ sagen. Einverstanden?

CD: Sehr gerne! Ich heiße Christian.

MR: Und ich heiße Michael. Christian, ich werde unser heutiges Gespräch aufzeichnen und in meine Rundbriefe stellen. Ist das für dich o.k.?

CD: Ja, das ist o.k.

MR: Dann fangen wir doch mal an. Also, die meisten LeserInnen meiner Rundbriefe werden dich schon kennen. Du bist Virologe an der Berliner Charitè und warst vom ersten Tag an ein beliebter Interviewpartner In Fernsehen und Printmedien. Schon im Februar 2020 hast du begonnen, mit den NDR Info Wissenschaftsredakteurinnen Korinna Hennig und Beke Schulmann jede Woche einen ungefähr einstündigen Podcast aufzunehmen: Das „Coronavirus-Update“. Es war von Anfang an eines der meistgehörten Radiogespräche. Eine geschlagene Stunde hören sich die Menschen die medizinischen Neuigkeiten von der Pandemie und ihrer Bekämpfung an. Du hast also offenbar immer brandaktuelle Themen und kannst sie so erklären, dass medizinische Laien es verstehen.

CD: Genau, das war ja der Grund, warum ich die Pandemie erfunden habe. Ich wollte eben auch mal ins Fernsehen und ins Radio. Normalerweise gelingt uns Virologen das ja nie. Also habe ich das Coronavirus erfunden, und siehe da, die Leute haben es geglaubt. Selbst dann noch, als ich es im ZDF offen zugegeben habe. ???? Das Video kann man sich anschauen: https://www.zdf.de/comedy/bosetti-will-reden/jahresrueckblick-122.html oder auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=tPLDhVIDEDc&ab_channel=ZDFComedy . Dennoch: Ich hätte diesen Erfolg nie für möglich gehalten. Solange die Pandemie andauert, bin ich die Nummer eins in den Medien!

MR: Wie? Die Pandemie ist Fake-News? Das Virus gibt es gar nicht?

CD: Nein, wie kommst du denn darauf. Meine MitarbeiterInnen und ich haben diesen Medien-Coup über Jahre hinweg akribisch vorbereitet. Und sobald man ein paar Menschen auf die Intensivstation legt und sie beatmet, glauben sie einem alles.

MR: Ich bin ehrlich gesagt sprachlos! Aber gut, dann spiele ich eben die Fake-News mit. Corona hin oder her, eines konntest selbst du nicht verhindern: Öffentlich-rechtliche Sender wie der NDR brauchen heutzutage immer eine geschlechtergerechte Konzeption. Seit September 2021 wechselst du dich daher im Zwei-Wochen-Rhythmus mit Professorin Sandra Ciesek vom Uniklinikum Frankfurt/ Main ab. Die Nummer eins musst du dir also jetzt mit ihr teilen. Aber trotzdem: Euer Podcast hat gegenwärtig 107 Folgen – ein paar mehr als meine Rundbriefe. Das ist wirklich großartig. Und allerlei Preise hat er in der Zwischenzeit auch schon bekommen.

CD: Ach, weißt du, ehrlich gesagt wäre es mir lieber, der ganze Medienrummel wäre vorbei. Denn leider bekommen wir VirologInnen auch Zuschriften mit wüsten Beschimpfungen, Beleidigungen und manchmal sogar mit Drohungen. Manche Medien wie die BILD-Zeitung haben daran durchaus ihren Anteil. Mit dieser Reaktion haben wir nicht gerechnet, als wir das Corona-Virus erfunden haben. Auch wenn wir das nicht so laut sagen können: Wir haben ein Eigentor geschossen.

MR: Ich möchte dich in diesem Gespräch von unten nach oben betrachten, also genau andersherum als es normalerweise üblich ist, beginnend bei dem Untergrund, auf dem du stehst. Als Räuchermännchen stehst du auf einer Holzplatte, die die Form des Coronavirus hat. Um genau zu sein: Die Form der Alpha-Version des Virus, denn zu dieser Zeit wurde das Räuchermännchen produziert.

CD: In der Tat – ich stehe sozusagen auf schwankendem Boden. Ständig merke ich, wie sich die Basis unter mir verändert. Das ist ein komisches Gefühl, und manchmal wird mir dabei schwindlig. Ich frage mich dann, ob wir eigentlich noch wissen, wie die neueste Variante des Virus aussieht, oder ob schon eine ganz andere die Nase vorn hat. Und mit jeder neuen Variante stehe ich als Virologe wieder da und muss zugeben, dass ich viele Fragen nicht beantworten kann. Es ist wie bei einer Schnecke, die eine Brunnenwand hinaufkriechen will: Tags kriecht sie ein Stück hinauf, und nachts rutscht sie wieder zurück. Und dann werfen einem manche Leute auch noch vor, dass die Virologie offenbar gar nichts wüsste.

MR: Also ich finde eigentlich, dass ihr erstaunlich schnell enorm viele Erkenntnisse gewinnt, wenn eine neue Variante auftaucht. Ich weiß schon, da arbeiten hunderte VirologInnen aus aller Welt mit, sogar aus China, aber trotzdem: Ihr müsst ja die Daten zusammensetzen, damit ein Gesamtbild entsteht, und das ist wirklich eine beachtliche Leistung. – Außerdem seid ihr VirologInnen im Vergleich zu uns TheologInnen deutlich im Vorteil. Das Gefühl des schwankenden Bodens, auf dem wir unsere Wissenschaft entwickeln, ist bei uns mit Sicherheit um einige Zehnerpotenzen höher.

CD: Da muss ich dir recht geben. Du weißt, ich habe mein Abitur am Bischöflichen Gymnasium Marianum in Meppen abgelegt. Ich ahne also, wie es euch in der Theologie geht. Momentan schwankt euer Boden ja besonders gewaltig – da möchte ich nicht in eurer Haut stecken.

MR: Danke für dein Mitgefühl. Über die kirchlichen Erdbeben habe ich in den letzten Nummern meienr Rundbriefe geschrieben, das lassen wir fürs Erste so stehen. Jetzt möchte ich aber ein wenig höher schauen, auf deine Hausschlappen und deine dicken roten Socken. Haben die eine politische Bedeutung?

CD: Nein, auch wenn mich Bündnis 90/ Die Grünen als Delegierten in die Bundesversammlung entsenden, um den Bundespräsidenten zu wählen, halte ich mich parteipolitisch zurück. Die Hausschlappen sind im Klinikalltag einfach sehr bequem, und bei den Socken kommt es mir mehr darauf an, dass sie warm sind. Ich bekomme schnell kalte Füße, und angesichts der öffentlichen Schelte aus bestimmten Kreisen der Gesellschaft müssen wir VirologInnen uns einfach warm anziehen.

MR: Aha, das ist der Grund. Na gut, dann schauen wir ein wenig höher, nämlich auf deinen weißen Medizinerkittel. Im Podcast kann man dich zwar nicht sehen, aber verzeih mir die Frage: Trägst du auch dort den Medizinerkittel?

CD: Nein, ich gehe in Zivil ins Aufnahmestudio. Die Bilder im Kittel resultieren eher daher, dass manche Fernsehinterviews direkt bei uns in der Klinik aufgenommen wurden. Und da fände ich es absurd, mich extra umzuziehen, denn das würde ein völlig falsches Bild von unserer Arbeit vermitteln. Ich komme bei solchen Interviews direkt aus dem Labor und kehre anschließend auch gleich wieder dahin zurück.

MR. Gut, dann gehe ich mit meinen Augen weiter nach oben. Du als Räuchermännchen hast unter dem Medizinerkittel einen Rollkragenpullover. Ich nehme an, dass es da wieder darum geht, dich warm anzuziehen, oder?

CD: Genau so ist es. Aber in Wirklichkeit trage ich unter dem Kittel oft ein einfaches Hemd. Je nach Jahreszeit eben.

MR: Dann kommen wir jetzt noch zu deinem Gesicht. Es ist verhüllt durch die medizinische Maske, die wir am Anfang der Pandemie eine gewisse Zeit lang getragen hatten, bevor es ausreichend FFP-2-Masken gab. Ich nehme an, dass du mittlerweile vorschriftsmäßig umgestiegen bist.

CD: Ja, klar. Das Max-Planck-Institut in Göttingen hat ja eine faszinierend hohe Schutzwirkung der FFP-2-Maske nachgewiesen. Zusammen mit der Impfung kommt man auf 99,98 Prozent Schutz. Das ist sensationell. Und das heißt natürlich: Überall, wo das Maske-Tragen möglich ist, sollten wir es beherzigen. So lästig es auch mitunter sein mag.

MR. Allmählich komme ich zum Schluss unseres Gesprächs. Aber zwei Beobachtungen müssen wir noch besprechen. Zunächst deinen Wuschelkopf. Das Räuchermännchen trifft ihn hervorragend, und er ist wohl zu einem Markenzeichen geworden. Traust du dich überhaupt noch, dich zu kämmen? Dann könnte es doch passieren, dass die Leute dich nicht mehr erkennen!

CD: Ja, ich gebe zu, der Kamm war noch nie mein Freund. Bei mir hält die Wirkung des Kämmens einfach nie lange an. Denn ich raufe mir viel zu oft die Haare, wenn ich nachdenke. Und da ich das andauernd tue, kommt eben schnell ein Kraut-und-Rüben-Schopf zusammen.

MR: Damit hast du vermutlich schon übergeleitet zu meiner letzten Bemerkung, die deinen rauchenden Kopf betrifft. Oben aus dem Räuchermännchen kommt, wenn man es bestückt, eine dicke Rauchschwade heraus.

CD: Na klar, wir WissenschaftlerInnen gehören eben zur Bande der rauchenden Köpfe.

MR: Da sprichst du mir aus der Seele. Das geht uns TheologInnen genauso – gerade angesichts der vorhin angesprochenen Probleme des schwankenden Bodens. Christian, danke für deine wertvolle Zeit. Ich bin sicher, dass meine LeserInnen ein paar ganz besondere Neuigkeiten von dir erfahren haben. Und vielleicht schreiben sie dir ja mal einen aufmunternden Brief, damit du nicht nur Hasspostings bekommst.

Mit diesem Wunsch verabschiede ich mich jedenfalls für heute und grüße alle herzlich,

Michael Rosenberger