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Pilgern durch die Coronakrise - 17. Februar 2021

Liebe PilgerInnen an der Pforte zur vierzigtägigen Fastenzeit,
 
ich denke, es ist uns allen bewusst, dass die heute beginnende Fastenzeit zumindest für die nach 1945 Geborenen die beschwerlichste Fastenzeit ihres gesamten Lebens werden dürfte. Die Kräfte Vieler sind am Ende, Unternehmensinsolvenzen und damit verbundene Entlassungen werden auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Und das rettende Ufer in Gestalt der Impfungen ist zwar sichtbar, aber noch ein beachtliches Stück entfernt. Wir können froh sein, wenn wir ihm an Ostern nahekommen. – Wie die Zeit bis dahin verlaufen wird, kann niemand seriös vorhersagen. Zu viele Unsicherheiten stehen im Raum.
 
Gerade heuer kann uns die Fastenzeit mit ihrer Prägung und ihren Ritualen gut tun. Einerseits verhindert sie, dass wir leichtfertig und oberflächlich durchs Leben gehen, andererseits schenkt sie aber auch Boden unter den Füßen, gibt tragenden Grund. Und das auch ganz wortwörtlich: Seit dem 4. Jahrhundert wird in Rom an den Tagen der Fastenzeit jeweils in einer anderen Kirche der Gottesdienst gefeiert. Diese Kirche ist dann für einen Tag ganz besonders geschmückt, so dass man schon am roten Baldachin über dem Kircheneingang erkennt, dass diese Kirche heute „Stationskirche“ ist. Und: Zur Stationskirche geht man zu Fuß – auch wenn das oft mehrere Kilometer Weg ist. In meinen fünf römischen Studienjahren habe ich das mit großer Freude tagtäglich so gehalten. Gehen lässt uns spüren, dass wir auch in dieser Krisenzeit festen Boden unter den Füßen haben. Ich lade daher ein, die alltäglichen Wege in diesen vierzig Tagen ganz bewusst und achtsam zu gehen.
 
Am heutigen Tag, dem Aschermittwoch, den die RömerInnen mit dem Papst in der altehrwürdigen Kirche Santa Sabina auf dem Aventin feiern, feiern wir eines der eindrücklichsten und am besten selbsterklärenden Rituale, die das Christentum zu bieten hat: Den Aschenritus. Er ist so stark, dass die Bischofskonferenzen an ihm auch heuer unter allen Umständen festhalten wollen und Wege gefunden haben, dies coronaverträglich zu tun.
 
Ursprünglich wurde das Aschenkreuz zu Beginn der Fastenzeit nur den BüßerInnen aufgelegt, die eine schwere Schuld gebeichtet hatten. Die Beichte war damals noch öffentlich, meist wusste die Gemeinde ohnehin schon, was jemand angestellt hatte. Denn es ging ausschließlich um sehr schwere Sünden. Die Beichtenden wurden dann am Aschermittwoch mit dem Aschenritus in die Gruppe der BüßerInnen eingewiesen. Sie mussten die gesamte Fastenzeit harte Buße tun und wurden am Gründonnerstag von ihrer Schuld öffentlich losgesprochen. Seit dem 11. Jh., als die Beichte schon längst im Vier-Augen-Gespräch mit dem Priester stattfand, wird das Aschenkreuz allen Gläubigen erteilt. Das ist für ein so starkes Symbol auch gut. Denn es macht uns klar, dass wir alle sündige und sterbliche Menschen sind.
 
„Asche und Staub“ sind seit Jahrtausenden eine feste Redewendung (Gen 18,27; Ijob 13,12). Schon lange vor den ältesten Zeugnissen der Bibel stehen sie für

  • unsere Herkunft: Vom Staub der Erde werden alle Geschöpfe genommen und geformt. Der Staub, diese formlose, unbeachtliche Materie, ist unsere Substanz, unser Dasein. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie aus ein paar wenigen Materialien der Erde ein quicklebendiges Wesen entstehen kann – mit all seiner oder ihrer Kreativität, Fantasie und Begabung. Der Staub lädt also zuallererst einmal zum Staunen ein.
  • das Wertlose: So staunenswert ist, was aus dem Staub entstehen kann, so wertlos ist er selber immer empfunden worden. Wir kennen die Redewendung, dass etwas „in den Staub getreten“ wird. Das meint, dass es nutzlos und wertlos ist. Wenn es sich um ein Individuum handelt, dann wird es durch diesen Akt gedemütigt wie die Schlange in der zweiten Schöpfungserzählung (Gen 3,14). Sie muss lebenslang am Boden kriechen, weil sie das erste Menschenpaar verführt hat.
  • das Zerstörte: Ja, auch für das Zerstörte steht der Staub. Städte oder ganze Länder werden „dem Erdboden gleich gemacht“ und „in Schutt und Asche“ gelegt. Wir kennen die Bilder des zerstörten Deutschland von 1945 oder des zerstörten Syrien 2015-2020. Manchmal ist Zerstörung aber auch notwendig. Das Goldene Kalb, eine vergoldete Holzfigur, wird verbrannt und der Staub verstreut (Dtn 9,21), damit der geschehene Frevel nie wieder passiert.
  • die Vergänglichkeit und das Elend des irdischen Lebens: „Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück“ (Gen 3,19), das ist der Leitsatz beim Austeilen des Aschenkreuzes. Nichts kann uns unsere Sterblichkeit so deutlich machen wie Asche und Staub. Deswegen sagt die Bibel: Wer stirbt, der „steigt zum Staub hinab“ (Ps 22,30; Ijob 17,16), ja „bettet sich im Staub“ (Ijob 7,21; 20,11; 21,26), denn das ist der Ort, an dem die Toten „wohnen“ bzw. „schlafen“ (Jes 26,19; Dan 12,2). Und Kohelet sagt (Koh 3,20): „Es fährt alles an einen Ort. Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub.“

 
Dieser letzte Satz macht übrigens ebenso wie Gen 3,19 darauf aufmerksam, dass das Alte Testament bis zum 2. Jahrhundert vor Christus nicht an eine Auferstehung der Toten glaubte. Nein, man ging davon aus, dass mit dem Tod alles zu Ende sei. Man wollte sich nicht den billigen Vertröstungen auf ein traumhaftes Leben nach dem Tod hingeben, wie das die ÄgypterInnen und BabylonierInnen taten.
 
Auch wenn wir heute die Auferstehung der Toten bekennen, ist es doch wohltuend, dass der Aschermittwoch einer der wenigen Tage des christlichen Jahres ist, der die Sterblichkeit einfach stehen lässt. Wir sind sonst arg schnell damit bei der Hand, über den Tod den großen Deckel der Auferstehung zu decken und ihn nicht ernst zu nehmen. Aber genau das kaufen uns die Menschen heute nicht mehr ab – und sie haben Recht! Man muss dem Tod erst einmal ins Gesicht sehen, ihn aushalten, ihn ertragen. Daher wollen viele LiturgiewissenschaftlerInnen am Aschermittwoch auf die Eucharistiefeier verzichten. Das Symbol des Staubs wird entwertet, wenn man gleich danach Eucharistie feiert, das Mahl des Auferstandenen. Oder anders gesagt: Trauen wir dem Aschenritus so wenig zu, dass wir ein zweites Ritual dranhängen, ja obendrauf setzen müssen? Der Aschenritus ist viel stärker als die Kreuzverehrung am Karfreitag, denn er verwendet ein Ursymbol der Menschheit. Geben wir ihm das Gewicht, das er verdient!
 
Die gegenwärtige Corona-Pandemie macht unser Staub-Sein in erschütternder und bedrückender Weise deutlich. Wir werden allesamt in den Staub getreten – diejenigen, die an Leib und Seele gesund bleiben, und erst recht diejenigen, die an Seele und/ oder Leib erkranken und vielleicht sogar sterben. Ja, das werden viele als Demütigung empfinden. Aber wir können es auch als Einladung zur Demut deuten: Unsere engen Begrenzungen dankbar annehmen und staunen, dass aus Staub quicklebendige Geschöpfe werden können.
 
In diesem Sinne wünsche ich allen eine segensreiche Fastenzeit,
 
Michael Rosenberger