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Pilgern durch die Coronakrise - 19. Februar 2022

Liebe Pilgernden im Vorfeld gewaltiger Öffnungen, 

„die Politik kapituliert“, so beginnt der treffende Kommentar von Lothar Lenz/ ARD zu den beschlossenen Öffnungsschritten, den ich als pdf anhänge. Am 20. März fallen in Deutschland fast alle Beschränkungen, in Österreich sogar schon am 5. März. Nur Wien wird weiterhin standhaft bleiben und die meisten Maßnahmen bis auf Weiteres beibehalten. Angesichts extrem hoher Inzidenzen hätte ich mir jedenfalls eine vorsichtigere Vorgangsweise gewünscht, mit mehr kleineren Schritten und so, dass man immer maximal zwei Schritte im Voraus beschließt, um auf überraschende Entwicklungen klüger reagieren zu können. Aber die Demoskopen sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Öffnungen richtig findet – na gut, dann soll es wohl so sein. Bei uns an der Uni werden wir jedenfalls die meisten derzeit geltenden Vorsichtsmaßnahmen bis auf Weiteres noch beibehalten: 3-G-Kontrollen, Abstands- und Maskenpflicht… Sehr gut, dass die Uni-Leitung behutsam agiert! Zugleich senden wir das starke Signal, dass mit Beginn des Sommersemesters am 1. März wieder Präsenzlehre stattfindet – mit minimalem Infektionsrisiko. Das ist ohnehin ein Riesenschritt.

Alle, die ein wenig Ahnung von Psychologie oder Pädagogik haben, wissen, dass Worte weniger Gewicht haben als Taten. Wenn also PolitikerInnen aller Parteien nun beteuern, man rufe keinen „Freedom-Day“ aus und die Pandemie sei noch nicht vorbei, dann ist das zwar nett, aber eben doch naiv. Ein guter Teil der Menschen wird die nonverbalen Signale genau so verstehen, wie sie angeblich nicht verstanden werden sollen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass bald auch die Impfpflicht suspendiert wird, ist hoch. Dabei brauchen wir weiterhin etwa 90% Impfquote, um gut durch den Herbst zu kommen – so die unmissverständlichen Aussagen der Fachleute. Im letzten Herbst wurden der Politik schwere Vorwürfe gemacht, sie hätte im Frühjahr nicht für den Herbst vorgesorgt. Und daran war jedenfalls richtig, dass im September die Impfstraßen abgebaut wurden, obwohl man wusste, dass die erreichten Quoten zu niedrig sein würden. Allerdings braucht es eben die Kooperation der Bevölkerung. Ohne die zappelt die Politik in der Luft. Und da schaut es zwar bei zwei Drittel der Bevölkerung sehr gut aus, beim letzten Drittel wird es allerdings schwieriger.

Was man guten Gewissens sagen kann: In einigen Wochen wird eine gewisse Entspannung eintreten. Und auch wer vorsichtig bleibt, wird davon etwas spüren und es genießen. Die kleinen Fortschritte können ein großer Genuss sein! In diesem Sinne werde ich auch den Rundbrief ab Beginn der Fastenzeit wieder aussetzen. Am nächsten Samstag werde ich noch etwas zur Vorbereitung auf die Fastenzeit schreiben und mich dann vorerst wieder verabschieden. Sollte es wieder zu einer Verschärfung der Infektionslage kommen, bin ich selbstverständlich wieder da.

Heute möchte ich ein Thema aufgreifen, das derzeit viele Debatten hervorruft: die hohen Energiepreise. Ein Barrel Rohöl kostet Stand heute 90,44 US-$. Seit acht Jahren war der Preis nicht mehr so hoch. Ein MMBtu Erdgas kostet aktuell 4,45 US-$. Das sind 44% mehr als vor einem Jahr. (Zur Information: MMBtu bedeutet Million British thermal unit und ist die Wärmeenergie, die benötigt wird, um eine Million britische Pfund Wasser um 1 Grad Fahrenheit zu erwärmen.) Dabei fällt der Preisanstieg umso drastischer aus, als die Energiepreise zu Beginn der Pandemie auf ein Rekordtief (!) gefallen waren. Damals mussten Erdölproduzenten sogar dafür bezahlen, dass ihnen Zwischenhändler Öl abnahmen und in Tanks lagerten.

Was jedoch sind die Ursachen für die Rekordpreise? Auf der Nachfrageseite ist die Nachfrage nach Energie zuletzt extrem gestiegen – weit höher als erwartet. Die Wirtschaft brummt, die Menschen kaufen wie die WeltmeisterInnen und buchen für den Sommer Flugreisen ohne Ende. Ich nehme an, dass sich dahinter der berühmte Jojo-Effekt verbirgt: Nach einer Zeit des Verzichts ist man heißhungrig und konsumiert mehr als man vorher durch den Verzicht eingespart hat. Anstatt nach der Pandemie anders zu leben als vorher, handeln viele nach der Devise „more of the same“!

Zum anderen können auf der Angebotsseite etliche Förderländer nicht liefern, weil entweder ihre Infrastruktur marode ist (Libyen, Venezuela) oder die teure Fracking-Förderung in der Pandemie bankrott gegangen ist (USA). Und da die GeldanlegerInnen, v.a. auch die großen Rentenversicherungen, aus den Investments in die fossilen Energien aussteigen, d.h. kein Kapital mehr in die Öl- und Gaskonzerne investieren (das sogenannte Divestment), kann die Modernisierung der maroden Infrastruktur bzw. der Neustart der Fracking-Bankrotteure nicht finanziert werden. Da wirkt also der Trend zu grünen Geldanlagen schon, ehe die Kennzeichnung der Europäischen Union überhaupt in Kraft getreten ist. Und dann ist da natürlich noch der Russland-Ukraine-Konflikt, der die Energiemärkte verunsichert – und Unsicherheit treibt die Preise.

Wir haben also eine höhere Nachfrage und ein geringeres Angebot – gemäß den Gesetzen des Marktes bedeutet das einen ordentlichen Preisanstieg. Da sind Forderungen nach einer Reduzierung der Energiesteuern sehr populär. Denn angeblich können wir uns das alles ja so gar nicht leisten. Schauen wir jedoch genau hin, dann sehen wir: Der Durchschnittslohn in Deutschland und Österreich hat sich von 1975 bis 1990 verdoppelt, und von 1990 bis 2020 nochmals verdoppelt. Der Benzinpreis ist in Deutschland von 1975 bis 1990 hingegen nur um etwa 30 Prozent gestiegen und von 1990 bis 2022 ebenfalls um etwa 30 Prozent. Während sich also das durchschnittliche Einkommen in 45 Jahren vervierfacht hat, ist der Benzinpreis noch nicht einmal auf das Doppelte gestiegen. Benzin ist bezogen auf das Durchschnittseinkommen viel billiger geworden. Und die Folge davon sehen wir: Wir fahren viel mehr Auto: Von 1975 bis 1990 ist die Jahresfahrleistung aller PKW um zwei Drittel gestiegen und von 1990 bis 2020 nochmals um etwas mehr als die Hälfte. Insgesamt bedeutet das in 45 Jahren einen Anstieg um knapp 260 Prozent. Eine umweltpolitische Bankrotterklärung!

Damit ist klar: Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, wird es nicht genügen, dass wir alle auf E-Autos und Erdwärme-Heizungen umsteigen. Wir müssen auch die Gesamtmenge der konsumierten Energie deutlich herunterfahren. Und das geht nur über höhere Preise. Deswegen haben sowohl Österreich als auch Deutschland die CO2-Bepreisung eingeführt. Die darf jetzt auf keinen Fall aufgeweicht oder aufgegeben werden, nicht einmal zeitlich befristet. Sonst sind alle Klimaschutzbemühungen ruckzuck im Eimer.

Nur: was passiert mit den Ärmsten unserer Gesellschaft? Den Arbeitslosen, den SozialhilfebezieherInnen, den NiedriglöhnerInnen? Für die hat es in dieser Woche eine sehr bemerkenswerte Initiative gegeben: Fast alle Sozialverbände Deutschlands haben gemeinsam mit fast allen Umweltverbänden Deutschlands eine Initiative gestartet. Sie rufen die Bundesregierung dazu auf, jetzt nicht die Energiesteuern zu reduzieren oder der Gesamtbevölkerung eine Energiesubvention zu zahlen. Im Gegenteil, sie plädieren dafür, den CO2-Preis schneller und deutlicher zu erhöhen, damit er ökologisch wirksam werden kann, und das dadurch erwirtschaftete Geld gezielt den ärmsten Menschen im Land zu geben. Denen also, die wirklich Hilfe brauchen. Ich halte das für einen bemerkenswerten Vorgang. Man versucht ja immer wieder die Klimaschutzmaßnahmen mit dem sozialen Argument auszuhebeln. Dabei könnten Klimaschutz und Sozialpolitik Hand in Hand gehen. Es bräuchte nur den Mut der Politik.

Und was können wir tun, solange es keine Maßnahmen gibt? Weniger Auto fahren, wäre eine gute Maßnahme. Die Hälfte aller Autofahrten in Deutschland und Österreich gehen über Distanzen unter fünf Kilometern. Da kann man leicht die eine oder andere per Fahrrad oder zu Fuß erledigen. Und weniger heizen könnte auch hilfreich sein. Ich bin außerhalb der Pandemie im Februar immer eine Woche bei FreundInnen in Italien. In der Toskana, im Mittelgebirge. Da wird es nachts kälter als bei uns – regelmäßig deutliche Minusgrade – und tagsüber im Schatten kaum wärmer (in der Sonne schon!). Aber die Italiener heizen ihre Wohnungen maximal auf 18 Grad! Damit geben sie sich zufrieden, weil ihre Heizungen so klein dimensioniert sind, dass gar nicht mehr möglich ist. Für mich bedeutet das jedes Jahr eine Gewöhnungsphase von zwei bis drei Tagen. Aber dann ist es ganz normal. Und wenn ich zurückkomme, empfinde ich unsere Wohnungen mit deutlich über zwanzig Grad als viel zu warm. Also, warum nicht mal ein Grad herunterschalten und dafür die dickeren Socken anziehen? So furchtbar wäre das vermutlich auch nicht.

Mit diesen Gedanken grüßt für heute,

Michael Rosenberger