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Pilgern durch die Coronakrise - 21. Februar 2021

Liebe PilgerInnen auf dem Weg nach Ostern,
 
die Signale aus den Gesundheitsinstituten sind nicht sehr ermutigend. Die Inzidenzzahlen in Österreich steigen seit einer Woche wieder an, in Deutschland stagnieren sie. Der Weg zur größeren Freiheit bleibt also extrem mühsam, und Rückschläge sind nicht auszuschließen.
 
Vielleicht haben manche es in den Medien wahrgenommen: Japan hat erst am Aschermittwoch mit den Impfungen begonnen, und zwar vorerst nur mit einem einzigen Impfstoff. Die JapanerInnen sind sehr entspannt. Auf Grund ihrer Disziplin haben sie im Vergleich zu Österreich nur ein Zwanzigstel an Corona-Toten pro Million EinwohnerInnen. Es geht also auch anders, wenn die Mentalität passt – sogar in den engen Wohn- und Lebensverhältnissen Japans.
 
Ganz vorzüglich finde ich übrigens die Darstellung der österreichischen Geschichte des Impfens seit den Zeiten von Kaiserin Maria-Theresia bis heute auf der Homepage des ORF: https://orf.at/stories/3200906/ In dieser Darstellung sieht man, dass Österreich und Deutschland schon länger viele ImpfskeptikerInnen haben, unter ihnen den großen Philosophen Immanuel Kant. 1797 schreibt er: „Wer sich die Pocken einimpfen zu lassen beschließt, wagt sein Leben aufs Ungewisse: ob er es zwar tut, um sein Leben zu erhalten, und ist so fern in einem weit bedenklicheren Fall des Pflichtgesetzes, als der Seefahrer, welcher doch wenigstens den Sturm nicht macht, dem er sich anvertraut, statt dessen jener die Krankheit, die ihn in Todesgefahr bringt, sich selbst zuzieht. Ist also die Pockeninokulation erlaubt?“ (Metaphysik der Sitten AA VIII, 555) Zu Kants Verteidigung muss man allerdings erstens sagen, dass er Zeitzeuge der ersten Impfung überhaupt war, der Pockenschutzimpfung. Er konnte also noch nicht auf Vergleiche mit früheren Impfungen zurückgreifen. Zweitens war Kant wortwörtlich ein Skeptiker, aber kein Impfgegner. Er stellt die Frage, ob das Impfen ethisch erlaubt ist, lässt aber die Antwort offen. Heute würde er sicher bejahend antworten, denn er war zeitlebens ein großer Freund der Naturwissenschaft.
 
An den Vorabenden der Fastensonntage will ich wie im Advent die Schrifttexte des Sonntags betrachten. Am morgigen 1. Fastensonntag kommen folgende Texte zur Lesung:
 
Lesung aus dem Buch Genesis (Gen 9,8-15)
Dann sprach Gott zu Noach und seinen Söhnen, die bei ihm waren: Ich bin es. Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen nach euch und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Wildtieren der Erde bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind, mit allen Wildtieren der Erde überhaupt. Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.
Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt.
 
Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 1,12-15)
Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm. Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!
 
Mit wem schließen Sie gerne einen Vertrag? Mit Ihrem Arbeitgeber vermutlich schon. Denn Ihr (hoffentlich fairer) Arbeitsvertrag sichert Ihnen ein festes Gehalt, eine geregelte Arbeitszeit, einen Anspruch auf Urlaub und freie Tage, schützt Sie vor ungerechter Kündigung und vieles mehr. Natürlich hat auch Ihr Arbeitgeber etwas von dem Vertrag. Aber in vielen Belangen ist er in der Position des Stärkeren und könnte sich im Zweifel auch ohne Vertrag durchsetzen. Für Sie hingegen ist der Vertrag lebenswichtig.
 
Würden Sie genauso gerne einen Vertrag schließen, wenn es darum ginge, einem Langzeitarbeitslosen Ihre Wohnung zu vermieten? Wohl eher nicht. Denn da wären Sie als VermieterIn in der Rolle des/ der Stärkeren und würden durch den Vertrag mehr gebunden als der Mieter.
 
Verträge schützen die jeweils Schwächeren gegen die Macht der jeweils Stärkeren, das ist ihr Sinn. Und wer häufiger in der Rolle des Schwächeren sein wird, schließt den Vertrag lieber als der, der sich häufiger in der Rolle des Stärkeren befinden dürfte.
 
In der heutigen Lesung wird ebenfalls von einem Vertragsabschluss gesprochen: Gott bietet dem Noach einen „Bund“ an. Noach als der Schwächere wird diesen Vertrag gerne annehmen, denn er garantiert ihm und seinen Nachkommen, dass keine Sintflut mehr über die Erde kommt, die alles vernichtet. Und damit auch der letzte Zweifel über diese Zusage Gottes beseitigt wird, gibt Gott dem Noach das Zeichen des Regenbogens: Was für die Menschen der damaligen Zeit eigentlich ein Kriegsbogen war, mit dem Gott die Blitze als Pfeile vom Himmel herabschießt, wird nun zum Zeichen des Friedens und der Schonung.
 
Doch Gott hat eine Bedingung für die Annahme seines Bundes: Auch die Tiere sollen Bundespartner werden. Furcht und Schrecken hat sich auf sie gelegt, denn sie wissen, dass der Mensch sie töten kann und unter gewissen Umständen auch darf. In Maßen darf er sogar ihr Fleisch essen, anders als im Paradies, wo ihm nur die grünen Pflanzen zur Nahrung dienten (Gen 1,29). Keine Frage, die Tiere sind damit in der schwächeren Position gegenüber dem Menschen. Deswegen will Gott sie vor übermäßiger Ausbeutung und ungerechter Behandlung schützen. Die fünf Bücher Mose, aus denen der Lesungstext stammt, sind voll von Beispielen, wie die Tiere, insbesondere die Nutztiere, vor einem übermäßigen Zugriff des Menschen in Schutz genommen werden.
 
Gottes Bund gibt es nur im Paket – entweder ganz oder gar nicht. Entweder akzeptiert der Mensch, dass die Tiere gleichberechtigte Bundespartner sind, oder Gott selbst zieht sich vom Bund mit dem Menschen zurück. Für Noach ist das kein Problem. Anders als seine ZeitgenossInnen hat er schon vor der Flut auf Gottes Weisung gehört. Er hat gespürt, wie sehr Gott all seine Geschöpfe liebt – nicht nur die Menschen. So war es für ihn selbstverständlich, die Tiere mit ins Boot zu nehmen und vor der vernichtenden Flut zu retten.
 
Auch Jesus teilt die Liebe Gottes zu allen Geschöpfen. Noch ehe er seine Botschaft vom Reich Gottes verkündet, so erzählt das heutige Evangelium, geht er in die Wüste und lebt mit den wilden Tieren. Das ist Herrschaft Gottes, will er sagen: Wenn Mensch und Tier die Erde miteinander besiedeln – in Frieden und Gerechtigkeit. Das ist Herrschaft Gottes, wenn der Mensch dem Tier faire Möglichkeiten zum Leben gibt. So ist Jesus der neue Noach. Wie der erste wendet er sich allen Geschöpfen Gottes zu.
 
Für Noach und Jesus wäre es nicht nötig, die Tiere in den Gottesbund hineinzunehmen. Sie handeln ohnehin richtig. Aber die meisten Menschen damals wie heute handeln nicht so selbstlos. Sie soll der Bund gegenüber Menschen und Tieren verpflichten – im Namen Gottes.
 
Sind wir bereit, Gottes Bundesvertrag mit den Tieren zu unterschreiben? Das hätte einschneidende Konsequenzen. Denn die Realität ist so, wie ich es eingangs geschildert habe: Mit den großen und starken Tieren gehen wir noch am ehesten einen Bund ein. Mit den kleinen und schwachen hingegen kaum. Von den verschiedenen landwirtschaftlichen Nutztieren dürfte es derzeit den Rindern vergleichsweise am besten gehen. Nicht überall, auch da gibt es große Unterschiede, und auch nicht immer wirklich gut. Aber das Elend vieler Schweine und des Geflügels ist doch weit größer. Wollen wir daran etwas ändern? Wollen wir Schritte zu einer umfassenden Tiergerechtigkeit gehen?
 
Wohlgemerkt möchte ich nicht verallgemeinern. Es gibt landwirtschaftliche Betriebe mit vorbildlicher, tiergerechter Haltung. Aber das ist, wenn wir ehrlich sind, nicht der Normalfall. Die Schuld daran dürfen wir allerdings nicht einfach den LandwirtInnen zuschieben. Wie sollen sie denn die Tiere gut und gerecht halten, wenn wir ihnen immer weniger für ein Schnitzel oder ein Ei zahlen? Faire Preise müssen fair für die LandwirtInnen und fair für die Tiere sein – und das sind sie momentan bei weitem nicht. Würde nicht ein halb so großes Schnitzel zum doppelten Preis besser schmecken, wenn wir wüssten, dass das Schwein ein glückliches Leben hatte? Würde ein Ei nicht deutlich besser munden, wenn wir wüssten, dass das Huhn das Tageslicht sehen und sich frei bewegen durfte? Prinzipiell haben wir die Wahl – es gibt das Angebot tiergerechter Produkte. Und wenn wir unsere Konsumgewohnheiten zu ändern bereit sind, muss es in Summe nicht einmal teurer sein, solche Produkte zu kaufen.
 
Jeder Vertrag hat seinen Preis. Auch der Bund mit Gott. Gott fragt uns nicht, ob es uns passt, dass in seinen Bund auch die Tiere mit eingeschlossen sind. Er liebt sie, weil sie seine Geschöpfe sind, und deswegen lässt er uns keine Wahl. Aber er verspricht uns, dass wir mehr gewinnen als wir geben, wenn wir in seinen Schöpfungsbund eintreten. Wenn wir nur sehen, wie gut es der Schöpfer mit uns meint, dann kann Gerechtigkeit gegenüber den Tieren keine Frage mehr sein. So wie für Noach, so wie für Jesus.
 
In diesem Sinne wünsche ich einen gesegneten ersten Fastensonntag,
 
Michael Rosenberger