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Pilgern durch die Coronakrise - 27. März 2020

Liebe Mitpilgernde auf dem Weg durch die Coronakrise,

heute Morgen äußerte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) im ORF seine Erwartung, dass der Höhepunkt der Coronavirus-Infektionen in Österreich noch nicht erreicht ist. „Je erfolgreicher wir sind, desto geringer ist der Peak, aber desto länger dauert es auch, bis alle Erkrankungen stattfinden.“ Die Zuwächse bei den Infektionen sollten „jetzt dramatisch sinken“ und danach auch die „Zahlen runtergehen. Wichtig ist, dass wir dann nicht einen Tag auf den anderen die Maßnahmen beenden. Wenn dann wieder die Steigerungsraten nach oben gehen, wäre alles vorher umsonst gewesen,“ so Anschober. Er rechne mit dem Höhepunkt der Infiziertenzahlen zwischen Mitte April und Mitte Mai. – Wir werden also noch eine gehörige Portion Geduld aufbringen müssen.

Angesichts dessen brauchen wir alle Zeichen der Ermutigung. Papst Franziskus will deshalb heute Abend auf den Stufen des Petersdoms ganz allein eine eucharistische Andacht halten und den Segen „Urbi et Orbi“ spenden. So sehr es richtig ist, dass er Zeichen setzt, so fürchte ich doch, dass es die falsche Zeichenwahl ist. Auch wenn er selbst die eucharistische Anbetung nicht als magisches Zaubermittel missversteht, werden viele Menschen genau das tun: Die einen zustimmend und damit in einem unaufgeklärten, vormodernen Glauben verbleibend, die anderen ablehnend und damit wieder ein Stück mehr der Kirche entfremdet. Ich frage mich, warum der Papst nicht jene liturgische Form gewählt hat, die in der Fastenzeit ohnehin einen besonderen Platz hat: Das Gehen des Kreuzwegs durch die Straßen von Rom. Ein Papst, der durch seine menschenleere Stadt geht und unterwegs vierzehn Mal innehält, um jeweils eine der Kreuzwegstationen zu betrachten – das wäre ein viel stärkeres Zeichen. Der Kreuzweg als der letzte Weg des leidenden und qualvoll sterbenden Jesus von Nazaret ist auch modernen und kirchenfernen Menschen gut vermittelbar, man denke nur an die vielen Kreuzwegdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst. Denn während das Allerheiligste in der Monstranz überirdisch und sehr lebensfern wirkt (und ja auch bewusst so inszeniert ist), ist der Kreuzweg so irdisch und menschlich wie man es nur denken kann – absolut lebensnah.

In dieser zweiten Woche auf unserem Exerzitienweg durch die Corona-Krise haben wir unsere Aggressionen und den Umgang mit ihnen betrachtet. Um diese Betrachtung gut abschließen zu können, geht es jetzt um die Frage, ob es in meinem Leben gegenwärtig offene Konflikte gibt. Ist irgendeine Beziehung schwer belastet? Gibt es einen mir nahestehenden Menschen, dem gegenüber ein Streit in der Schwebe ist? Ist eine Beziehung völlig unterbrochen, weil keineR der beiden sich auf den/ die andereN zubewegt? Wenn ja, dann fordert uns Ignatius von Loyola auf, nicht länger zu warten, die Sache nicht weiter aufzuschieben und hinauszuzögern. JETZT ist der Moment, das klärende Gespräch zu suchen, die Verletzungen des Gegenübers wahrzunehmen und die eigenen Verletzungen zu benennen. JETZT ist der Moment, einen Neuanfang zu wagen, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu schenken. Und wo ein Konflikt so eskaliert ist, dass jedes weitere Wort neue Missverständnisse erzeugt und neue Wunden aufreißt, ist JETZT die Chance, eineN kompetenteN MediatorIn als neutrale Vermittlungsperson einzubeziehen und sich auf einen Klärungsweg zu dritt zu begeben.

Das gilt unbeschadet der Tatsache, dass die meisten Versöhnungswege derzeit nur (video-) telefonisch oder schriftlich möglich sein werden. Ja, das ist einerseits eine Begrenzung: Man spürt die Nähe des Gegenübers nicht mit allen Sinnen, man kann sich am Ende nicht die Hand reichen oder in den Arm nehmen.  Aber die größere Distanz kann auch eine Chance sein: Manches wird vielleicht gerade dadurch sagbar, dass ich dem Gegenüber nicht in die Augen schauen muss. Manches können wir vielleicht genau deswegen leichter anhören, weil die sprechende Person unsere unmittelbare Reaktion nicht sehen kann. Die Unmöglichkeit einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht soll also keine Ausrede dafür sein, das als notwendig Erkannte weiter aufzuschieben.

Warum gerade JETZT? Einerseits haben wir in der letzten Woche bereits alles Gute in unserem Leben wahrgenommen und gespürt, dass unser Leben von Gott und vielen Menschen behütet und getragen ist. Auf dieser positiven Grundlage relativieren sich offene Konflikte und können daher aus einer größeren inneren Stabilität heraus bearbeitet werden. Sie können den guten Kern unseres Lebens nicht (mehr) zerstören. Andererseits blockiert jeder Konflikt unsere weitere Entwicklungen, solange er offen bleibt. „Störungen haben Vorrang“, heißt es in der Themenzentrierten Interaktion (TZI). Man sollte sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt beheben und nicht vor sich herschieben. Denn mit jeder Woche, jedem Monat, jedem Jahr, die sie ungelöst bleiben, werden sie größer und schwerer zu überwinden.

Ja, das wäre eine geniale Frucht der uns verordneten Kontaktbeschränkungen: Wenn wir den einen oder anderen Kontakt wiederbeleben könnten, der verdorrt, erstarrt oder abgestorben ist!

In diesem Sinne wünsche ich euch/ Ihnen allen mit einem Lied von Reinhard Mey ein gutes Weitergehen auf dem Weg durch diese Wochen,

Michael Rosenberger

Verzeih

Ich habe meinen Weg verlor'n, ich habe mich verirrt,

Vor lauter Lichtern nicht geseh’n, dass es dunkel um mich wird.

Ich hab' mich verstrickt, ich hab’ mich verfangen,

Allein komm’ ich nicht mehr frei.

Hilf mir, wieder zu dir zu gelangen,

Verzeih, bitte, verzeih!

Ich habe dir unrecht getan, ich habe dich verletzt,

Ich habe so viel falsch gemacht, es tut mir so leid und jetzt,

Jetzt steh' ich vor dir und suche und ringe

Erklärungen herbei.

Doch alles, was ich herausbringe,

Ist: Verzeih, bitte verzeih!

Verzeih das Unverzeihliche,

Auch wenn nicht ein guter Grund für mich spricht.

Vergib das Unentschuldbare, bitte, verlass mich nicht.

Ich habe nichts, ich kann nichts mehr, bin gar nichts ohne dich.

Ich bin ganz unten, bin ganz wehrlos, ganz am Boden bin ich.

Ich hab' nichts, um das Blatt zu wenden, keinen Trick, keine Schönfärberei,

Ich bitte dich mit leeren Händen:

Verzeih, bitte verzeih!

(Reinhard Mey 1998, CD Flaschenpost)