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Pilgern durch die Coronakrise - 4. Januar 2021

Liebe Pilgergeschwister beim Aufbruch in ein neues Jahr, 

kaum hat das neue Jahr begonnen, da beginnen die JournalistInnen immer heftiger über die angeblich so schlechte EU-Politik beim Einkauf von Impfstoffen zu klagen. Viel zu spät sei viel zu wenig gekauft worden – man solle sich an Israel, Großbritannien und den USA ein Beispiel nehmen. Dabei wird meines Erachtens zweierlei vergessen: Erstens glich der Impfstoffeinkauf einer Wette. Im vergangenen Sommer, als die Verträge gemacht wurden, wusste niemand, welcher Impfstoff erfolgreich sein würde und wann er zugelassen würde. Man konnte also nur drei Dinge tun: Entweder alles auf einen Impfstoff setzen und ggf. komplett danebenliegen. Oder (wie die USA, UK und Israel) von jedem Impfstoff so viel kaufen, dass er allein für alle BürgerInnen reichen würde – was eine riesige Geldausgabe bedeutet. Oder von jedem Impfstoff so viel kaufen, dass drei bis vier erfolgreiche Impfstoffe ausreichen, alle BürgerInnen zu impfen. – Die EU hat das dritte getan, und das ist meines Erachtens sehr vernünftig.

Hinzu kommt nämlich ein zweiter Aspekt: Mindestens für zwei Jahre wird die weltweite Nachfrage nach Impfstoff größer sein als das Angebot. Was sich die reichen Länder durch einen höheren Preis also schneller sichern, fehlt den ärmeren Ländern. Wenn jetzt von der deutschsprachigen Presse die USA, das Vereinigte Königreich und Israel als Vorbilder hingestellt werden, dann ist die Botschaft: Wer am meisten zahlt, gewinnt. America first, Britain first, Israel first! – Erinnere ich mich da so völlig falsch? Genau dieses Prinzip des Sich-Vordrängelns hatten dieselben JournalistInnen jahrelang aufs Heftigste gegeißelt! Woher jetzt diese Kehrtwende? Warum soll auf einmal der nationale oder kontinentale Egoismus richtig sein, der die ganze Zeit über falsch war? Wenn die EU sich mit Rücksicht auf andere Länder zurückhält und zugleich auch in den UN-Solidaritätsfonds zur Finanzierung der Impfung in den ärmsten Ländern einzahlt, dann kann man das doch nur begrüßen. Solidarität heißt: Geduldig warten, bis man an die Reihe kommt. Und nicht gierig zugreifen, bloß weil man den größten Geldbeutel hat.

Vielleicht hilft ja ein bisschen Humor, so wie hier: https://www.youtube.com/watch?v=cYPXkA0hyfA&ab_channel=PrayanAnimationStudioPvt.Ltd.

Neue Wege gehen, das ist am Beginn eines neuen Jahres vielleicht einfacher als sonst. Und in einer Pandemie, die ohnehin vieles Althergebrachte durcheinanderwirbelt, noch einfacher. Angehängt sende ich euch/ Ihnen das Bild einer ungewöhnlichen Krippe, auf das ich aufmerksam gemacht wurde: Statt eines Stalls ist eine Bushaltestelle der Schauplatz der Weihnachtsgeschichte in der Wallfahrtskirche in Retzbach (Foto: Silvia Gralla, Main-Post). Adventliches Warten verbindet sich mit der Pause vom Einkaufsstress – und mittendrin wird ein Kind geboren.

Wohl selten mussten wir gegenwärtig Lebenden den Aufbruch in das neue Jahr von so weit unten beginnen wie heuer. Das gibt dem alljährlichen Neujahres-Optimismus, dass das neue Jahr besser wird als das alte, endlich einmal eine vernünftige Grundlage. Ja, vermutlich wird es tatsächlich besser – wenigstens gesamtgesellschaftlich. Vermutlich werden wir das Virus bis zum Sommer wirksam eindämmen können. Vermutlich werden die meisten Beschränkungen, die wir gegenwärtig ertragen müssen, bis dorthin still und leise entsorgt werden können. Vermutlich werden die Zahlen der mit Corona Infizierten und Verstorbenen auf ein Minimum nahe Null zurückgehen. Und doch ist Optimismus etwas ganz anderes als Hoffnung.

Ich zitiere eine längere Passage aus einem Interview mit Václav Havel, dem Oppositionellen in kommunistischen Zeiten und tschechischen Staatspräsidenten in postkommunistischer Ära sowie Friedensnobelpreisträger. Havel, zu dieser Zeit als politischer Häftling im Gefängnis sitzend, antwortet dem Journalisten Karel Hvížďala auf dessen Frage: „Sehen Sie in den achtziger Jahren irgendwo einen Hoffnungsschimmer?“ Havel erwidert: „Zuerst sollte ich wohl sagen, dass ich die Hoffnung, über die ich ziemlich häufig nachdenke (besonders in besonders hoffnungslosen Situationen, wie zum Beispiel im Gefängnis), vor allem, ursprünglich und hauptsächlich als einen Zustand des Geistes, nicht einen Zustand der Welt begreife. Hoffnung haben wir entweder in uns oder wir haben sie nicht, sie ist eine Dimension unserer Seele und ist in ihrem Wesen nicht abhängig von irgendwelchem Beobachten der Welt oder Abschätzen von Situationen. Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist Orientierung des Geistes, Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Welt übersteigt und irgendwo in der Feme verankert ist, hinter ihren Grenzen. Als bloßes Derivat von etwas Hiesigem, irgendwelcher Bewegungen in der Welt oder deren günstiger Signale scheint sie mir einfach nicht erklärlich zu sein. Ihre tiefsten Wurzeln spüre ich also irgendwo im Transzendenten, ebenso wie die Wurzeln der menschlichen Verantwortung, ohne dass ich fähig wäre – im Unterschied zum Beispiel zu den Christen –, über dieses Transzendente etwas Konkreteres zu sagen. An dieser meiner Überzeugung – eigentlich ist es mehr als Überzeugung, es ist innere Erfahrung – ändert nichts das Maß, in dem dieser oder jener Mensch eine Verankerung seiner Hoffnung zugibt oder in welchem Maße er sie bestreitet: der überzeugteste Materialist und Atheist kann von dieser inneren, echten und im Transzendenten (nach meiner – nicht seiner – Meinung!) verankerten Hoffnung mehr haben, als zehn Metaphysiker zusammen. Das Maß der Hoffnung in diesem tiefen und starken Sinne ist nicht das Maß unserer Freude am guten Lauf der Dinge und unseres Willens, in Unternehmen zu investieren, die sichtbar zu baldigem Erfolg führen, sondern eher das Maß unserer Fähigkeit, uns um etwas zu bemühen, weil es gut ist, und nicht nur, weil es garantiert Erfolg hat. Je ungünstiger die Situation ist, in der wir unsere Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung. Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Ich denke also, dass wir die tiefste und wichtigste Hoffnung, die einzige, die uns trotz allem an der Oberfläche zu halten, zu guten Taten anzuhalten imstande ist, und die die einzige echte Quelle der Großartigkeit des menschlichen Geistes und seines Bemühens, von «anderswoher» nehmen. Und diese Hoffnung vor allen Dingen ist es auch, die uns die Kraft gibt zu leben und es immer aufs Neue zu versuchen, seien die Bedingungen äußerlich auch so hoffnungslos wie zum Beispiel die hiesigen. Das also musste ich vorausschicken. Und jetzt zu dem, was Sie wohl hauptsächlich hören wollten, nämlich zum ‚Zustand der Welt‘ und der Menge und der Arten hoffnungsvoller Anzeichen darin. (…)“ (Václav Havel 1987, Fernverhör. Ein Gespräch mit Karel Hvížďala, Reinbek bei Hamburg, 219-221)

Hoffnung ist „die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“ Und diese Gewissheit, so Havel, wächst aus einer tiefen inneren Quelle, die er als „Transzendenz“ beschreibt, wie auch immer man sich diese vorstellen mag. Hoffen heißt also, sich an dem Überzeugt-Sein von der Sinnhaftigkeit und Gutheit des eigenen Handelns festzuhalten. Dieses Überzeugt-Sein steht himmelhoch über Erfolg und Misserfolg. Es ist das eigentliche Maß der Spiritualität.

Havel hat diese Erkenntnis in jahrelanger politischer Haft empfangen. Noch zwei Jahre nach dem Amtsantritt Michail Gorbatschows und zwei Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs spekuliert er nicht auf das Ende des Kommunismus. Halt gibt ihm vielmehr ein Hoffen, das autonom, unabhängig vom Ausgang bestimmter Ereignisse ist: Tief in seinem Inneren spürt er die Gewissheit, dass richtig ist, was er tut, und dass gut ist, was er denkt. Diese Gewissheit sollten auch wir uns erbitten, uns für sie öffnen, sie uns in einem langen inneren Wachstums- und Reifungsprozess schenken lassen.

Ich schließe mit einem Segensgebet, das vom sogenannten „aaronitischen Segen“ inspiriert ist, der die erste Lesung des Neujahrstags ist (Num 6,22-27):

Der Herr segne dich

Er lasse dein Leben gedeihen

Er lasse deine Hoffnung erblühen

Er lasse deine Früchte reifen.

Der Herr behüte dich

Er umarme dich in deiner Angst

Er stelle sich vor dich in deiner Not

Er hülle dich in den Mantel seiner Liebe.

Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir

Wie ein zärtlicher Blick erwärmt

So überwinde Er bei dir, was erstarrt ist.

Der Herr erhebe sein Angesicht über dich

Er sehe dein Leid

Er tröste und heile dich.

Er gebe dir Frieden

Das Wohl des Leibes

Und das Heil der Seele.

In diesem Sinne wünsche ich ein gesegnetes und hoffnungsvolles neues Jahr des Herrn 2021,

Michael Rosenberger