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Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Wallfahrt – eine Hilfe auf dem Weg zur Einheit der Christen?

Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts verstand man unter „Ökumene“ vor allem die Bemühungen der christlichen Konfessionen um einen Konsens in den zentralen Glaubensfragen. Seit den 1980er Jahren merkte man, dass das allein noch zu wenig ist. Die kirchliche Lehre umfasst ja nicht nur den Glauben, sondern auch die Moral. So begann man im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auch um einen Konsens in ethischen Fragen zu ringen – ein ähnlich schweres Unterfangen!

Seit Beginn des neuen Jahrtausends kommt nunmehr eine dritte, womöglich letzte Komponente hinzu: Die Annäherung in spirituellen Fragen. Schon nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte die katholische Annäherung an die evangelische Bibelfrömmigkeit begonnen. Die umgekehrte Annäherung brauchte aber länger und nimmt erst jetzt Gestalt an: So wird in der evangelischen Kirche gegenwärtig die katholische Exerzitienspiritualität, die früher als erzreaktionär galt, zunehmend modern. Und auch das Wallfahren, das die Reformatoren aufs Heftigste bekämpft hatten, wird nun für viele evangelische Pfarreien und Gläubige zu einer wunderbaren Möglichkeit, Gott näher zu kommen.

Mit diesem dritten Stadium der ökumenischen Bewegung wird – und das ist die große Chance – Ökumene nicht nur als eine Sache des Kopfes, sondern auch des Herzens und der Füße, des Leibes und der Gefühle verstanden. Menschen die sich der Spiritualität der Schwesterkonfession öffnen, können erfahren: „Aha, so riecht katholisches Leben!“ oder „So schmeckt evangelische Frömmigkeit!“ Heute können evangelische Christinnen und Christen die Wallfahrt mehr und mehr riechen, die ihnen früher ziemlich gestunken hat.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass das Wallfahren mindestens mancherorts eine lange ökumenische Tradition hat: Allen Kirchenspaltungen zum Trotz blieben bestimmte Wallfahrtsorte immer allen Konfessionen zugänglich wie zum Beispiel die Anastasis in Jerusalem oder das Grab des heiligen Nikolaus von Myra in Bari, die Katholiken und Orthodoxe auch in den Zeiten härtester Konfrontation gemeinsam besuchten. Auch die evangelische Kirche ließ seit der Reformation da und dort Raum für katholische Wallfahrten zu protestantisch gewordenen Kirchen, wie beispielsweise zum Grab des heiligen Olaf in Trondheim.

Was bis vor wenigen Jahren die Ausnahme war – dass Wallfahren konfessionsverbindend wirken kann – wird heute fast schon zum Normalfall. So wurde die jüngste Wallfahrt zum Heiligen Rock in Trier zu einem beeindruckenden ökumenischen Ereignis – im Zeichen des nicht zerteilten Leibrocks Jesu, der in der geistlichen Tradition schon immer als Symbol für die Einheit der Kirche verstanden wurde. Und die Wallfahrt zu den Stätten der heiligen Elisabeth einte in ihrem Gedenkjahr Christinnen und Christen aller Konfessionen.

Freilich gibt es wichtige Bedingungen für diese ökumenische Annäherung in spirituellen Dingen: Einseitigkeiten und Fehlentwicklungen der traditionellen Wallfahrtspraxis müssen beseitigt werden. Das ursprüngliche Anliegen, innere Wandlungsprozesse zu ermöglichen, muss neu entdeckt werden. Die Gestaltung muss sich für eine Vielfalt der Formen öffnen: Die religiösen Inhalte sind entscheidend, nicht die Form, in der sie vermittelt werden. Man muss auf Wallfahrten nicht ständig Rosenkranz beten und Marienlieder singen. Und wenn man es tun will, dann muss man die Menschen behutsam an diese Art des Betens heranführen – übrigens nicht nur die evangelischen Pilgerinnen und Pilger, sondern zunehmend auch die katholischen!