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Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Warum oft der Umweg über Maria und die Heiligen?

In der Tat: Die wenigsten Wallfahrtsorte sind direkt Gott oder einem Ereignis aus dem Leben Jesu gewidmet. Letzteres gibt es vorwiegend im Heiligen Land, in dem die Orte des Lebens und Wirkens Jesu liegen und die thematische Ausrichtung der heiligen Stätten dominieren – von der Verkündigungsbasilika in Nazaret über die Brotvermehrungskirche in Tabgha und den Berg der Verklärung bis zur Anastasis über dem Grab Jesu in Jerusalem. Ersteres – die Widmung einer Wallfahrtskirche an Gott selbst – konzentriert sich vor allem auf die Wallfahrtsorte zur Heiligsten Dreifaltigkeit, wie sie in vielen Ländern zu finden sind. Darüber hinaus aber sind die allermeisten Wallfahrtskirchen einem oder mehreren Heiligen geweiht.

Brauchen wir einen solchen Umweg? In unserer modernen Zeit werden wir sofort an den Satz denken, den wir im Mathematikunterricht gelernt haben: „Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist die Gerade.“ Warum also der Umweg, wenn Gott doch direkt und ganz unmittelbar erfahrbar ist? Die traditionelle Pilgerspiritualität antwortet darauf mit dem Bild des Labyrinths, das ein Urbild für den Lebens- und Glaubensweg von Menschen ist. Wendungen und Umwege, sagt das Labyrinth, gehören zum Leben und sind oft der einzig mögliche Weg. Es geht nicht immer geradeaus. Manchmal rennen wir jahrelang in eine Sackgasse, bis wir das merken und den für uns richtigen Weg zum Leben entdecken. Aber wir hätten den Königsweg ohne die Sackgasse vermutlich gar nicht erkannt. Der Weg hinein war also keineswegs umsonst – so mühsam und schmerzlich die Umkehr am Ende auch gewesen sein mag. Anders als die Mathematik sagt uns die Spiritualität also: „Der kürzeste Weg zwischen Geburt und Auferstehung, zwischen Aufbruch und Ankunft ist die Umkehr und der verschlungene Umweg.“

Solch ein Umweg führt immer über konkrete lebensgeschichtliche Erfahrungen – eigene wie auch von anderen Menschen. Heilige als Vorbilder im Glauben repräsentieren solche Erfahrungen. Die moderne Psychologie weiß besser als früher, dass der Mensch Vorbilder braucht – im Glauben, Hoffen und Lieben. Komplexe Verhaltensweisen wie ethische und spirituelle Orientierungen lassen sich nur an Hand von Vorbildern lernen. Das sind für das Kleinkind zuerst die Eltern, die größeren Geschwister und andere Bezugspersonen aus dem nahen Umfeld. Es sind aber sehr bald auch Persönlichkeiten, die durch das Erzählen vermittelt werden. Von Phantasiepersönlichkeiten wie Schneewittchen lernt das Kind wichtige Grundhaltungen ebenso wie von Jesus oder den Heiligen.

Vorbilder vermitteln wichtige Lebenserfahrungen. Ohne Vorbilder kann kein Mensch leben. Zugegeben: Man muss die Vorbilder nicht unbedingt verehren. Man darf das auch nur in stark begrenztem Maße – weil man durch ihre Vergöttlichung die Gottheit Gottes missachtet, und weil man sie durch ihre „Anbetung“ so weit auf das Podest hebt, dass sie nicht mehr menschlich sind. Der Verehrung eines Heiligen sind also aus theologischen wie aus anthropologischen Gründen klare Grenzen gesetzt.

Kein gläubiger Christ muss Heilige verehren, erst recht nicht einen ganz bestimmten Heiligen. Das hat die Kirche nie gefordert. Die Vielfalt der Heiligen lässt jedem reiche Wahl – und wer keinen Lieblingsheiligen findet, wird deswegen auch nicht verurteilt. Aber es ist doch ein beeindruckendes Angebot, wenn einem so viele mögliche Vorbilder im Glauben, Hoffen und Lieben angeboten werden – mit all ihren menschlichen Schwächen, die man gar nicht verheimlichen braucht.

Eines freilich sollte klar bleiben: Heilige sind nicht das Ziel der irdischen Pilgerschaft, sondern „nur“ eine Station auf dem Weg. Ziel aller Wege durch das irdische Labyrinth ist Gott allein. Bei der inhaltlichen Gestaltung von Wallfahrten sollte das unbedingt berücksichtigt werden.

Sonst wird aus Glauben schnell Aberglauben.