In der „themenzentrierten Interaktion“ (TZI), einer Kommunikationstheorie, lautet ein Prinzip: „Störungen haben Vorrang!“ Auf keinen Fall dürfen der Wallfahrtsleiter und die Wallfahrer Störungen ignorieren und so tun, als hätten sie nichts bemerkt und wäre nichts gewesen. Denn das Überdecken einer Störung führt dazu, dass unter der Decke ein Konflikt entsteht und irgendwann mit viel größerer Macht zutage tritt. Besser also frühzeitig schauen, was getan werden kann!
Zweitens sind normalerweise immer jene Problemlösungsstrategien erfolgreich, die schrittweise stärkere Maßnahmen umfassen. Man beginnt mit der geringstmöglichen Maßnahme, und wenn die nichts hilft, folgt eine etwas stärkere und so weiter bis zur stärksten und umfangreichsten Maßnahme als dem allerletzten Mittel. – Was heißt das nun konkret?
Wie sollen wir mit Wallfahrerinnen und Wallfahrern umgehen, die langsamer werden und zurückfallen? Ein erster Versuch könnte darin bestehen, dass der Wallfahrtsführer die gesamte Gruppe etwas langsamer gehen lässt. Oft reicht ja eine geringe Temporeduktion, damit langsamere Personen wieder gut mitkommen, ohne völlig außer Atem zu geraten. Sollte das nicht genügen, wäre die zweite Stufe, die ich vorschlage (und selber praktiziere), dass ein „starker Pilger“ mit dem Langsamen ganz hinten geht und nachkommt. Meist geht es ja nur um Minuten, die man bei der nächsten Pause später am Treffpunkt ist – dann haben die ersten schon die Toilette genutzt, das Getränk bestellt, so dass dem Langsameren nicht wirklich etwas verloren geht. Eine dritte Stufe, wenn auch die zweite nicht dauerhaft zum Erfolg führt, ist sicher, dass der/die Langsame am Morgen oder am Abend ein Stück des Weges in einem Fahrzeug zurücklegt. Ich selber pilgere prinzipiell nur ohne Begleitfahrzeug. Daher heißt das für die betreffende Person: Sie muss sich ein öffentliches Verkehrsmittel suchen, Fahrpläne in Erfahrung bringen, gegebenenfalls einen Umweg fahren und umsteigen… ein echtes Abenteuer und somit eine Bewährung anderer Art. Sie hat am Abend auf jeden Fall viel zu erzählen. Als vierte und letzte Stufe muss natürlich auch das Abbrechen der Wallfahrt in Betracht kommen, etwas wenn eine Fußverletzung das erzwingt. Aber es ist eindeutig das letzte Mittel. Und selbst dann kann der „Fußlahme“ die Gruppe am Ziel erwarten und so seine weiter bestehende Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zeigen.
Wie aber sollen wir mit Wallfahrern umgehen, die „aus der Reihe tanzen“ und sich nicht an die Ordnung der Gruppe halten wollen? Auch das kommt vor, und bis zu einem gewissen Grad ist es erträglich, ja muss es ertragen werden. Doch gibt es Grenzen. Wallfahren braucht den spirituellen „Gleichschritt“. Wenn beim Formationstanzen einer ständig gegen den Rhythmus tanzt, verunsichert das alle anderen und bringt auch sie aus dem Takt. Wenn das der Fall ist, braucht es das Handeln. Hier können sich alle Beteiligten an einer Wallfahrt an Jesu eigenen Weisungen orientieren (Mt 18): Zuerst sollte mit dem aus der Reihe Tanzenden ein Gespräch unter vier Augen die Klärung suchen. Im zweiten Schritt sollte ein Dritter als Vermittler hinzugezogen werden. Erst im dritten Schritt kommt der Wallfahrtsführer ins Spiel und ist gefordert, seinerseits eine Klärung zu probieren. Nur im alleräußersten Fall unüberbrückbarer Gegensätze wird das Frankenlied schlagend, in dem der Dichter „seitwärts durch den Wald als räudig Schäflein traben“ muss. – Vielleicht trifft das „räudige Schäflein“, das aus der Reihe tanzt, aber auch einen wahren Kern: Nicht alle Ordnungen einer Wallfahrt sind auf ewig unverrückbar.